Schweizer Verhältnisse im Mittelmeer

Der UN-Plan zur Lösung der Zypernfrage sieht einen Bundesstaat nach dem Modell der schweizerischen Kantonalsverfassung vor. Damit werden beiden Seiten große Zugeständnisse abverlangt. Doch die Chancen sind gut

ISTANBUL/BERLIN taz ■ Eine Entsprechung des Matterhorns sucht man auf Zypern vergeblich. Politisch allerdings ist die Schweiz seit dieser Woche das Vorbild für die geteilte Mittelmeerinsel: Nach dem Modell der Schweizer Kantonalsverfassung soll auf Zypern ein unabhängiger Bundesstaat entstehen.

Der am Montag an die Führer der griechischen und türkischen Volksgruppe der Insel, Glavkos Klerides und Rauf Denktasch, übergebene UN-Plan sieht eine neue Republik „in Form einer unauflösbaren Partnerschaft“ von griechischen und türkischen Insulanern vor. Die Souveränität des Bundesstaats steht über jener der „Teilstaaten“ – statt 26 Kantonen in der Schweiz soll es zwei geben, einen für die Zyperngriechen im Süden, einen für die -türken im Norden. Zypern wird zugleich Mitglied der EU und spricht mit einer Stimme in der Union – eine Bedingung, auf die EU-Erweiterungskommissar Verheugen Wert legt.

Sieben Tage haben beide Seiten Zeit zur Prüfung. Zu erwarten ist eine grundsätzliche Zustimmung, doch damit ist der Konflikt nicht überwunden. Bis zum Kopenhagener EU-Gipfel am 12. Dezember, bei dem Klerides und Denktasch ein gemeinsames Protokoll unterzeichnen sollen, ist es noch weit. Denn der UN-Plan verlangt von beiden Seiten erhebliche Zugeständnisse.

Schwer zu kauen haben die Zyperngriechen an der Vorstellung, dass die Kantone eine eigene Verfassung besitzen sollen. Dieses ist gleichbedeutend mit einer Eigenständigkeit für die Türken, die vielen Griechen zu weit gehen dürfte. So könnte dies bedeuten, dass die etwa 100.000 türkischen Siedler dauerhaft auf der Insel bleiben können.

Von den Türken verlangt der UN-Vorschlag, sich von ihrer Idee eines eigenen souveränen Staats zu trennen. Der Plan, die Zahl der auf Zypern stationierten türkischen Soldaten stark zu reduzieren, dürfte auf Widerwillen bei den Militärs stoßen.

In einer ersten Phase sollen Klerides und Denktasch gemeinsam die Präsidentschaft übernehmen. Nach drei Jahren geht die Macht an einen sechsköpfigen Präsidentschaftsrat über, aus dem das Parlament alle zehn Monate in Rotation einen griechischen bzw. türkischen Präsidenten wählt. In einem Zweikammerparlament wäre im Abgeordnetenhaus die Bevölkerung entsprechend ihrer Stärke repräsentiert, der Senat bestünde zu gleichen Teilen aus Abgeordneten der Teilstaaten.

In einer ersten Reaktion ließ der Chef der türkischen Zyprioten, Rauf Denktasch, verlauten, er werde sich dem UNO-Plan „in einem positiven Geist“ annähern. Bereits vor drei Wochen, als erste Umrisse des UN-Plans durchsickerten, äußerte sich sein engster Berater, Mümtaz Soysal, ablehnend. Die türkischen Zyprioten seien angeblich in den entscheidenden Gremien nicht gleichberechtigt. Mittlerweile hat sich die Situation für Denktasch und Soysal dramatisch verändert. Seit in der Türkei bei den Wahlen alle Parteien, die den harten Kurs von Denktasch stützen, aus dem Parlament flogen, muss er sich flexibler zeigen.

Unmittelbar nach dem Wahlsieg der AK-Partei hatte deren Chef Tayyip Erdogan für Furore gesorgt, als er im griechischen Fernsehen sagte, Belgien könne als Vorbild für eine Lösung auf Zypern dienen. Der bis zur Wahl der neuen Regierung noch amtierende Außenminister Sina Gürel erklärte daraufhin öffentlich, die Position Erdogans entspreche nicht der „Staatspolitik“. Doch die Möglichkeiten der scheidenden Regierung sind begrenzt. Zwar ist der Apparat im Außenministerium und im Sicherheitsrat weiter auf eine harte Linie eingeschworen, doch Erdogan will im Dezember auf dem EU-Gipfel einen Erfolg erringen und wird versuchen, Denktasch im Sinne der UN zu beeinflussen. Kommenden Montag reist Erdogan nach Athen. Dort wird er versuchen, sich mit Premier Kostas Simitis auf ein gemeinsames Vorgehen zu einer Zypern-Lösung zu einigen, um Griechenlands Unterstützung für eine türkische Annäherung an die EU festzuklopfen.

Das größte Risiko für Erdogan ist ein möglicher Zusammenstoß mit dem Militär. Wenn früher türkische Militärs sich öffentlich zur Zukunft Zyperns äußerten, betonten sie stets die strategische Notwendigkeit einer türkischen Kontrolle Nordzyperns. Jedoch sind auch hier die Dinge spätestens seit dem 11. September 2001 im Fluss. Generalstabschef Hilmi Özkök ist erst am letzten Wochenende von einer USA-Reise zurückgekehrt. Dabei ging es zwar hauptsächlich um einen Krieg gegen den Irak, gleichzeitig werden die USA aber klar gemacht haben, welch großes Interesse sie an einer Zypern-Lösung haben. „Jetzt kommen 30 heiße Tage“ titelte Hürriyet gestern. Am Ende könnte der Zypernkonflikt gelöst sein.

Der Zyperngrieche Klerides versprach eine exakte Prüfung des UN-Plans. Zugleich deutete er an, dass einige Punkte nicht im Sinne der Zyperngriechen seien. Aber: „Wir müssen im Ganzen urteilen.“ Die griechische Regierung reagierte euphorisch: Premier Simitis sprach von einer „historischen Chance für eine Lösung des Konflikts“.

K. HILLENBRAND, J. GOTTSCHLICH

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