Ohne Noten an die Spitze

Die bekannteste deutsche Reformschule erzielt Spitzenwerte bei einem freiwilligen Pisa-Test. Bielefelder Laborschule reicht beim Lesen an die Ergebnisse des europäischen Musterlands Finnland heran. Mädchen erzielen überragende Leistungen

aus Berlin und Bielefeld CH. FÜLLER
und A. MÖNTER

Es geht doch. Die neue deutsche Wunderschule ist bereits 25 Jahre alt und steht in Bielefeld. Die betont antiautoritäre und antiselektive Einrichtung hat den Namen Laborschule, und in diesem Labor gedeihen SchülerInnen der besonderen Art: Sie entwickeln besonders im Lesen hohe Leistungen, sie sind demokratischer eingestellt und viel zufriedener als gleichaltrige SchülerInnen in Nordrhein-Westfalen – und sie sind ziemlich normal.

Das sind zusammengefasst die Ergebnisse der ersten positiven Überraschung, den der Schulvergleichstest Pisa hierzulande auslöste. Bisher stand das Kürzel für schlechte schulische Leistungen in Deutschland, große soziale Unterschiede und null Bock auf Pauken. Die 15-jährigen SchülerInnen der Bielefelder Laborschule, die sich freiwillig nach dem Muster des Pisa-Tests der OECD prüfen ließ, übertrafen mit ihren Leistungen sogar die guten Schulen in Schweden. Für die Bielefelder ist nicht das deutsche Spitzenland Bayern mit 510 Leistungspunkten das Maß, sondern Pisa-Gewinner Finnland. Die Laborschüler errangen 529 Punkte, 17 weniger als die 15-jährigen zwischen Lappland und Helsinki. Gegenüber gleichaltrigen Mitschülern in NRW (493 Pisa-Punkte) haben die Teenager der Laborschule einen Lernvorsprung von mehr als einem Jahr. Schulgründer Hartmut von Hentig sah in dem Ergebnis einen Beweis. Es sei jetzt klar, meint er, dass das Geschrei, man brauche Noten und müsse Schüler nach Leistungen sortieren, widerlegt sei. „Der Pisa-Test an der Laborschule zeigt, dass das nicht notwendig ist.“

Das Besondere der Laborschule ist, das sie eines der wenigen deutschen Beispiele einer „Schule für alle“ ist. Auch Noten werden dort nicht vergeben. In der Laborschule werden „Hauptschüler“, „Realschüler“ und „Gymnasiasten“ gemeinsam unterrichtet, es gibt diese Sortierungen gar nicht. Denn von der ersten bis zur zehnten Klasse bleiben die verschiedenen Leistungsniveaus in einer Klasse.

Die Leiterin der Laborschule, Susanne Thurn, sagte dazu: „Deutschland sollte nach diesem Ergebnis doch noch einmal den Mut haben, die abgewehrte Strukturdebatte neu zu führen.“ Thurn empfahl, dem Gutachten der Handwerkskammer aus Baden-Württemberg zu folgen, in dem eine neunjährige Schule für alle und das Abitur für fast alle Schüler gefordert wird. Bislang hatten die deutschen Pisa-Ergebnisse stets dazu geführt, dass vor allem Kultusminister nach einer noch strikteren Leistungstrennung der Schüler riefen.

Untersucht wurde die Laborschule vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, das auch die nationale Pisa-Studie angeleitet hatte. Die Forscher zeigten sich erfreut über das ausgeglichene Leistungsniveau. „Die Laborschule entlässt auch schwache Schüler mit einem Mindeststandard an Wissen“, sagte Petra Stanat. Das war das Pisa-Problem vieler deutscher Schulen: dass sie extrem viele Schüler (ein Viertel) mit schwachen Leistungen hatten. Auch die in Bielefeld parallel abgehaltene Untersuchung des zivilen Verhaltens der Schüler fiel gut aus: Die Laborschüler sind politisch informiert, sozial interessiert und kaum fremdenfeindlich eingestellt.

Das interessanteste Ergebnis in Bielefeld dürfte aber dieses sein: Die Mädchen, die bei Pisa weltweit besser als die Jungen abgeschnitten hatten, eilen in der Laborschule geradezu davon – vor allem beim Lesen und in den Naturwissenschaften. Die Schule hat ein betont mädchenfreundliches Klima. Nun sagte Susanne Thurn: „Wir müssen uns überlegen, wie wir auch für die Jungen eine noch bessere Lernumgebung schaffen können.“