: Heftiger Streit ums Bahntempo
Kontroverse zwischen Polizei und Aktionsbündnis um die Anti-Castoraktion, die am Mittwoch bei Lüneburg einen ICE gestoppt hat. SPD-Innenminister Bartling hält AktivistInnen für „nicht ganz zurechnungsfähig“. Polizei relativiert ihre Darstellung
von HEIKE DIERBACH
Der ICE, der am Mittwoch Vormittag durch eine Blockade von Castor-GegnerInnen in Lüneburg gestoppt wurde, war möglicherweise vorgewarnt. Zumindest behauptet dies das Aktionsbündnis „Heidewerkstatt“ in einer Pressemitteilung von gestern: „Polizei und BGS waren über eine Blockade auf der Hauptstrecke informiert, bevor der ICE Winsen erreicht hatte.“ BGS-Einsatzleiter Joachim Franklin weist das zurück: „Es sind keine Warnungen eingegangen.“
Bei der Aktion hatten sich rund 25 DemonstrantInnen vor der Einfahrt in den Bahnhof Lüneburg auf die Hauptstrecke Hamburg-Hannover gesetzt. Zwei BGS-BeamtInnen warnten die Gruppe vor dem ICE und versuchten, sie zum Verlassen der Gleise zu bewegen. Als der Zug noch etwa 250 Meter entfernt war, verließen alle DemonstrantInnen die Schiene, kehrten aber zurück, als sie sahen, dass der ICE 200 Meter vor der Stelle zum Halt gekommen war. Der BGS löste die Blockade danach auf.
Das Aktionsbündnis behauptet, der Zug sei seit Winsen ohnehin „verlangsamt“ gefahren. Die Bahn dementiert: Der ICE habe an der Stelle seine reguläre Geschwindigkeit von etwa 100 Stundenkilometern gehabt. „Als der Lokführer die Zeichen der BGS-Beamten sah, hat er eine Schnellbremsung eingeleitet“, so Bahn-Sprecher Hans-Jürgen Frohns. „Schnellbremsung“ ist der technische Ausdruck für eine Notbremsung durch den Lokführer. Von einer Vorwarnung sei der Bahn „nichts bekannt“.
Unabhängig von der Frage der Warnung argumentiert das Aktionsbündnis, die Polizei habe mit Aktionen an der Hauptstrecke rechnen müssen, und „die Personengruppe am Gleis war für die Polizeihubschrauber deutlich sichtbar“. Franklin betonte hingegen, die DemonstrantInnen „haben Glück gehabt, dass sie heute noch leben“. Niedersachsens Innenminister Heiner Bartling (SPD) sagte, wer sich in dieser Weise auf die Gleise setze, sei für ihn „nicht mehr ganz zurechnungsfähig“.
Polizei und BGS relativierten unterdessen ihre Darstellung vom Mittwoch, die Beamten hätten die Castor-GegnerInnen „in letzter Sekunde von den Gleisen pflücken müssen“. Sprecher Peter Hoppe: „Das war eher bildlich gemeint.“ Unter den Fahrgästen des ICE ist nach Erkenntnissen der Bahn niemand verletzt worden. „Eine Schnellbremsung ist nicht, als wenn Sie gegen eine Mauer fahren“, sagt Frohns, „da fliegt nicht alles durcheinander.“
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