Kein Kulleraugenkitsch

Der Bremer Fotograf Armin Maywald hat einen Narren an Seehunden und Kegelrobben gefressen. In Kürze erscheint sein neues Buch, das alle Vorzüge von Sachbuch und Bildband vereint

Über den Erfolg: „Da ist natürlich Glück im Spiel – das Glück der Tüchtigen“

Noch ein Buch über Seehunde. Gibt es nicht schon mehr als genug? Sind nicht die Bildbände voll von kulleräugigen Seehunden, von Heulern allein am Strand, von sich räkelnden Kolonien braun-gelb-schwarz gefleckter Strandkolosse? Doch, Seehundbücher gibt es viele. Aber nicht solche wie das in wenigen Tagen erscheinende von Armin Maywald. Der Bremer ist Fotograf und Biologe zugleich, und sein Buch „Die Welt der Seehunde“ ist streng genommen ein Sachbuch.

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich Armin Maywald mit dem Ökosystem Wattenmeer. Früher als Aktivist in verschiedenen Naturschutzverbänden, dann hauptsächlich als Journalist, Fotograf und Filmer. Und dieser sinnlichen Seite ist es zu verdanken, dass Maywalds Sachbücher als opulente Schwarten daherkommen. Maywald, Jahrgang 1953, ist seit dem Studium „begeisterter Amateurfotograf“ und räumt mit seinen Tier- und Naturfotografien Preise im In- und Ausland ab. Das Wattenmeer ist zwar ein Lieblingsthema, aber von Raubkatzen über Gorillas bis zur Fledermaus hat Maywald schon alles gesehen und abgelichtet. Den renommierten Naturfotografiepreis der BBC hat er mit dem Bild eines Glattwals vor der argentinischen Küste gewonnen. Fünf Wochen ist er dafür jeden Abend mit dem Boot aufs Meer raus gefahren – bis endlich alles gepasst hat, Licht, Farben, und die erhobene Schwanzflosse des Meeresriesen. „Da ist natürlich Glück im Spiel, aber es ist auch das Glück der Tüchtigen“.

Für sein neuestes Buch hat Maywald Monate auf einer Badeinsel vor Helgoland verbracht. Und wie beim argentinischen Wal hatte er klare Vorstellungen von dem, was er fotografieren will. „Ich wollte mich den Seehunden vom Land nähern, und ich wollte ihre typischen Verhaltensweisen porträtieren.“ Bislang, so Maywald, seien Fotos von den scheuen Seehunden „alle gleichartig“ gewesen: „Der Fotograf schippert an der Sandbank vorüber, macht ein paar Schüsse und fährt weiter.“ Eine andere Variante sind die Fotos aus den Aufzuchtstationen und den Zoos, die die Seehunde nicht in ihrer natürlichen Umgebung zeigen. „Und dann gibt es noch die Kadaver-Fotografie.“ Letztere hat mit dem Ausbruch der Seehundstaupe enormen Auftrieb bekommen.

Maywald gelang mit viel Geduld, die Seehunde und Kegelrobben in intimen, zum Teil nie gesehenen Situationen zu fotografieren. Sie „schnäuzeln“ miteinander, sie pinkeln, Seehundemamas säugen ihre Jungen.

Oberstes Anliegen des naturbegeisterten Fotografen ist es, den aktuellen Wissensstand in faszinierende Bilder zu übersetzen. Ein reiner Bildband, zu dem die wunderschönen Fotos ebenso taugen würden, wäre dem „Aufklärer“ viel zu oberflächlich. So hat er an in- und ausländischen Institiuten zu den Gewohnheiten der Meeressäuger recherchiert, zu ihrer urzeitlichen Existenz, die durch Höhlenmalereien und Werkzeuge dokumentiert ist, auch zur Herkunft und Bedeutung der Tiernamen.

Bei seiner Recherche wurde ihm etwa die recht neue Erkenntnis zuteil, dass die Tasthaare der Seehunde bis zu zehn Minuten lang die Schwingungen einer Beutefischflosse spüren, um ihn dann zu verfolgen. Maywald fotografierte einen blinden, gut genährten Seehund, der mit seinen hellblau-erloschenen Augen in die Kamera linst. „Das ist kein trauriges Bild, weil es dem Seehund nämlich nicht viel ausmacht, blind zu sein. Das entscheidende Sinnesorgan sind die Tasthaare.“ Um dieses „Organ“ selbst ins rechte Licht zu rücken, suchte Maywald nach einem schlafenden Koloss. „Wenn die Augen auf sind, ziehen sie alle Aufmerksamkeit auf sich.“ Also hat er lange, lange Sessions mit einem schläfrigen Seehund gemacht, der schließlich sein Misstrauen überwand und „weitergepennt hat“. Auf dem Foto heben sich nun deutlich die weißen Tasthaare vor dem dunkel gescheckten Kopf ab.

Auch die Seehundstaupe fehlt in seinem Buch nicht. Ursprünglich sollte die letzte große Epidemie von 1988 nur kurz vorkommen, dann überrolten ihn die Ereignisse. „Jetzt ist ein ganzes Kapitel daraus geworden“, in dem Maywald um sachlichen Umgang mit dem Thema wirbt. „Wir wissen nicht genau, ob die Menschen ihre Finger im Spiel hatten, oder ob es sich um einen natürlichen Ausleseprozess handelt“, sagt er. „Bei letzterem sollten wir lernen, das Robbensterben zu ertragen.“ Eine Erkenntnis, die Maywald aus den fatalen Ereignissen zieht ist die, dass „die Forschung in Deutschland ein Trauerspiel ist“. Kurz nach dem letzten Massensterben in den 80ern seien alle Bemühungen wieder abgebröckelt, über den „Sympathieträger Seehund“ mehr Wissen zu produzieren.

Elke Heyduck

„Die Welt der Seehunde – Ein Porträt zwischen Faszination und bedrohter Natur“,128 Seiten, 120 Fotos, 24,80 €