Kirche macht Rückzieher

Vor Gericht musste die Evangelische Kirche zusichern, ihre Broschüre über den „destruktiven Kult“ der Zeugen Jehovas nicht zu verbreiten. Der Sektenbeauftragte Langel konnte sein Werk nicht verteidigen

Mit einem klaren Rückzug hat gestern die Bremische Evangelische Kirche (BEK) vor dem Oberverwaltungsgericht einen Streit mit den Zeugen Jehovas beigelegt. 1996 hatte die BEK in einer Broschüre des Sektenbeauftragten Pfarrer Helmut Langel die Zeugen Jehovas als „destruktiven Kult“ beschrieben und diverse Tatsachenbehauptungen aufgestellt, gegen die die Zeugen Jehovas gerichtlich vorgingen. Nach langem Streit um das zuständige Gericht kam es erst gestern zur Verhandlung.

Der Sektenbeauftragte und Autor Langel erklärte dem Gericht freimütig, er würde heute „fast keinen einzigen Satz“ mehr so schreiben wie damals. Die Broschüre sei im übrigen „sehr schnell vergriffen“ gewesen, auf eine zweite Auflage verzichtete die Kirche. Langel findet nicht alles falsch, was er damals geschrieben hat, aber er müsse die umstrittenen Behauptungen neu überprüfen und würde vermutlich „vieles anders formulieren“, sagte er. Da über eine Unterlassungsklage verhandelt wurde, ging es vor Gericht nicht darum, ob die Behauptungen damals gerechtfertigt gewesen waren.

Langel hatte in seiner Broschüre „verpönte oder verbotene Tätigkeiten“ aufgelistet und behauptet, seine Liste sei ein „Auszug aus einem internen Originaldokument der Zeugen Jehovas“. Dieses ist offenkundig falsch. Langel erklärte gestern, er ziehe die Formulierung von dem „Originaldokument“ zurück.

In die Liste der „verpönten Tätigkeiten“ hat Langel sogar die „Arbeit im Rüstungssektor“ aufgenommen. Zu Recht – bekanntlich sind die Zeugen Jehovas unbeugsame Kriegsgegner und dafür auch von den Nazis unbarmherzig verfolgt worden. „Sehr verpönt“ sei auch das Studium an einer Hochschule, heißt es in der Liste. Der Anwalt, der die Zeugen vor Gericht vertrat, bekannte sich als Anhänger der Religionsgemeinschaft und lebendiger Gegenbeweis – er hatte 1987 sein Jura-Examen abgelegt.

„Kinder dürfen nicht basteln, keine Gesellschaftsspiele spielen“, heißt es in der Broschüre der BEK. „Unsinn“, sagt der Anwalt, der selbst Vater ist. „All das, was Jugendlichen Spaß macht, ist streng untersagt“, hatte Langel formuliert. Die Wiederholung solcher Behauptungen würde die Kirche nach dem vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich 5.000 Euro kosten. Was Spaß macht, soll in der strengen Religionsgemeinschaft hinter dem Dienst an Jahwe zurückzutreten, das wäre korrekt gewesen – eine Einstellung, die es vereinzelt auch noch in der Evangelischen Kirche geben soll. Vor Gericht erklärte Langel, die Sitten bei den Zeugen Jehovas hätten sich in den letzten Jahren „liberalisiert“. Das Bastelverbot beziehe sich zudem auf die christlichen Feiertage wie Weihnachten oder Ostern.

Dies ist allerdings ein pikanter Punkt, denn das Weihnachtsfest etwa ist eine späte Erfindung, die Teilnahme daran wurde von der katholischen Kirche über Jahrhunderte verboten – bis sie dem Zeitgeist nachgab und dem Fest den christlichen Segen gab. Der Weihnachtsbaum wurde erst im 19. Jahrhundert dazu gestellt. Weihnachtsbasteleien werden von den Zeugen Jehovas als wenig christliche Betätigung angesehen. Auch das Osterfest oder die Geburtstagsfeier sind Anpassungsleistungend er Kirchen an nichtchristliche Traditionen. Was die Bremer Evangelische Kirche den Zeugen Jehovas also vorwirft, ist deren fehlende Anpassung an den Zeitgeist. „Klerikaler Absolutismus“ wird da als Kennzeichen von Sekten definiert, „destruktives Merkmal“ ist der Glaube, dass die kirchliche „Organisation im Besitz der einzig gültigen Wahrheit“ ist. Langel bekannte schon in der Broschüre, dass „auch die Großkirchen in ihrer Geschichte ähnliche Strukturen entwickelt haben“ wie das, was er als „destruktiver Kult“ heute kleinen Konkurrenten vorwirft. Klaus Wolschner