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: ARNO FRANK über den potternden Motor Deutschland

Pädagogische Prisen in der Kammer des Schreckens

Nein, gegen „Harry Potter“ in all seinen Aggregatszuständen ist nichts einzuwenden. Wer die Bücher nicht lesen und die Filme nicht sehen möchte, der sollte eben die Büchern nicht lesen und die Filme links liegen lassen. So einfach ist das? Nein, so einfach war das.

Heute gibt es kein Entkommen mehr. Dass sich die Privatsender von RTL bis RTL 2 am kostenlosen Promomaterial schadlos halten, daran haben wir uns ja gewöhnt. Ein Ereignis, ach was, ein Event sei dieser Film – und wird daher als lockerer „Rausschmeißer“ gerne angekündigt. Sei’s als „Filmtipp“, sei’s als bunter Beitrag über die vielen irrlichternden Zuschauer in der Premierennacht. Aber auch in Redaktionen wie der sonst so offiziösen „Rundschau“ des Bayerischen Rundfunks hat „Harry Potter“ viele Freunde. Billige Ausschnitte werden als willkommener Aperitif gesendet, unterlegt allerdings mit einer pädagogischen Prise Realität für die lieben Kleinen: „Obermuggel Schröder zaubert uns das Geld aus der Tasche.“

Nachrichtenagenturen liefern ganz ernsthaft Glossare, um uns Begriffe wie Arargog, Parselmund oder Voldemort zu erläutern. Damit wir auf dem Laufenden sind, wenn etwa in der Bild-Zeitung der neue Telekom-Chef Ricke mit Harry Potter verglichen wird. Oder das Hogwart-Internat mit der Pisa-Studie. Oder das Finanzamt mit der „Kammer des Schreckens“. Oder was auch immer, denn: Als Referenzmodell taugt das Märchen für alles. Und hat einen alarmierenden Subtext: Die Deutschen gehen nicht oft genug ins Kino, die Konjunktur lahmt, die Branche kränkelt. Also geh ins Kino, für Deutschland! Wenn Adorno mit seinem Wort Recht hat, Fun sei ein Stahlbad, dann wird hier gerade kräftig warmes Wasser nachgefüllt.