Hochprozentiges

Herr Puntila torkelt überaus überzeugend über die Schauspielhausbühne. Gut, dass Brecht ihm einen (nicht makellosen) Knecht Matti gab – auf irgendwen muss man sich ja stützen

„Geh aus dem Weg, du Wand“, schreit Puntila und donnert mit einem Einkaufswagen dagegen. Doch die Mintfarbene rückt keinen Millimeter. Betrunken ist er mal wieder, der Gutsbesitzer, und auf dem Weg zum Schnapsnachschub.

Mehr als die Hälfte der Zeit ist Herr Puntila breit und komischerweise liebt man ihn trotzdem auf den ersten Blick. Er strauchelt und lallt und lässt die Gliedmaßen baumeln. Ein knüppelhartes Brot für Torsten Ranft, der den trunkenen Gutsbesitzer in „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ im Goethe-Theater mimt. Torkeleien ohne tatsächliche Promille im Blut gleiten oft rapide ins Affektierte, geben Stücken einen Schmierenkomödientouch. Doch Ranft erschafft herzerfrischenden Schnapsnasenhumor.

Auf dem Weg zum Schnapsladen verlobt sich Puntila mal eben mit einem Apothekerfräulein, einem Kuhmädchen und einer Telefonistin. Alles läuft prima, bis zu dem Punkt, an dem der Puntilasche Kreislauf den Alkohol wieder abgebaut hat. Chauffeur Matti (Kay Werner Dietrich) ist dann auf einmal nicht mehr der gute Kumpel und treue Freund, sondern ein Lump sondergleichen. Seine drei Verlobten komplimentiert der Gutsherr wieder wüst zur Tür hinaus – kurzum: Er verbreitet Angst und Schrecken.

Sehr gelungen inszenierte Michael Talke das Leben des Puntila als Wechsel zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde: Der Gutsherr wird nüchtern zum rücksichtslosen Kapitalisten – nur sternhagelvoll zeigt er Gefühle, die er dann bereut: „Wenn ich etwas von mir sagen kann, so ist es, dass ich gegen diese Anfälle von sinnloser Nüchternheit ankämpfe wie ein Mann.Aber was hilft es? Sie überwinden mich immer wieder.“

Auch Matti hat zwei Gesichter und vielleicht ist es das, was die beiden so zusammenschweißt. Wenn Puntila mit Wabbelknien menschelt, dann ist Matti der Große, die starke Schulter. Wenn Puntila mit hochrotem Kopf zackige Befehle plärrt, dann ist Matti still und wartet auf den Anderen in seinem Herrn. Matti muss leiden und man findet keine Erklärung, warum er sich die ständigen Erniedrigungen des nüchternen Gutsherrn gefallen lässt. Am einen Tag wird ihm die Hand der Puntilatochter Eva (Jördis Triebel) versprochen, am anderen ist er die Schöne nicht mehr wert.

Kay Werner Dietrich wirkt als undurchsichtiger Knecht mit fettigen Haaren manchmal unpassend. Herzen möchten lieber höher schlagen beim Anblick eines sympathischen, diskriminierten Lovers, als bei den plumpen Verführungsversuchen eines bulligen Nackten. Torsten Ranft dagegen wurde der Puntila scheinbar auf den Leib geschrieben und so pocht das Herz lieber für den Bösewicht.

Dabei sorgte Brecht in seinem Stück dafür, dass Matti am Ende die Oberhand behält. Dieser verlässt den Herrn, der als Wrack am Boden liegt und geht mit Würde seiner Wege. Doch stattdessen steigt im Schauspielhaus Ranft/Puntila trotz mitmenschlicher Sauereien zum Märtyrer auf und rückt Held Matti in den Schatten. Geldsäcke haben nämlich keine Freunde, die Armen! Sie werden sogar von angeblich treuen Knechten verlassen.

Welche Moral soll denn nun bleiben von der Geschicht‘? Geld allein macht glücklich nicht? Mit Aquavit, da spielt man nicht? Oder vielleicht – und das hoffen wohl alle unterdrückten Knechtfiguren in diesem Land: Dein Tag wird kommen, sorg‘ dich nicht!

Susanne Polig

Die nächsten Termine: 23.11., 14./19./29.12., jeweils 20 Uhr. Karten unter ☎ (0421) 36 53 333