: Immer sehr positiv drauf
Die kanadische Eischnellläuferin Cindy Klassen sammelt Weltcupsiege und verursacht bei ihren schärfsten Konkurrentinnen Claudia Pechstein und Anni Friesinger „ein mulmiges Gefühl“
aus Erfurt MARKUS VÖLKER
Gallige Kontroversen sind mit Cindy Klassen nicht zu führen. „Ich bin im Umgang mit der Presse eher scheu“, sagt die 23-Jährige und verweist dann darauf, dass in der kanadischen Mannschaft jeder jeden unterstütze. „Wir sind immer sehr positiv drauf.“ Klassen, die beim Weltcup in Erfurt drei Strecken (500, 1.000, 1.500 Meter) und den neu ausgetragenen kleinen Vierkampf gewann, wächst zur schärfsten Konkurrentin der deutschen Läuferinnen Pechstein und Friesinger heran. Die Ankündigung ihres Trainers Moira D’Andrea dürfte die Berlinerin ebenso wie die Inzellerin beunruhigen. Er sagt: „So jung wie sie ist, kann sie noch zweimal bei Olympia laufen, und wenn sie die Lust nicht verliert, prophezeie ich ihr noch zwölf Jahre in der absoluten Weltspitze.“
Auch der kanadische Teamcoach Chris Shelley gibt keine Entwarnung: „Eigentlich ist sie aus dem harten Training zu den Weltcups in Hamar und Erfurt gekommen, in dieser Phase solche Zeiten zu laufen, ist sehr beeindruckend.“ Claudia Pechstein gibt zu, dass sie in Klassen eine ernst zu nehmende Rivalin sieht. Vor allem deren starkes Auftrumpfen auf den Sprintdistanzen hat Pechstein überrascht. „Ich sehe das schon mit einem mulmigen Gefühl“, sagte sie in Erfurt.
Um ein Haar hätte die 1,73 Meter große Cindy Klassen die Herausforderung Eisschnelllauf gar nicht angenommen. Der Laufanzug erschien der Frau aus Winnipeg zu körperbetont, sie meinte, auf Schlittschuhen sähe sie blöd aus. Doch Klassen, die auf ihren Touren durch Europa mitunter Bibelstunden gibt und zur spirituellen Erbauung Mails von der Lehrerschaft des Mennonite Brethren Collegiate Institute in Winnipeg erhält, bekam das Okay von den gläubigen Eltern. Also ging sie 1999 aufs Eis und räumte gleich Medaillen im Juniorenbereich ab.
Die rothaarige Athletin konnte damals schon auf eine lange Sportkarriere zurückblicken. 1994 stand sie bei den Commonwealth-Spielen in der kanadischen Lacrosse-Mannschaft. Als Fünfjährige hatte sie mit dem Eishockey angefangen, spielte bis 14 bei den Männern, startete einen Versuch im Frauen-Eishockeyteam, machte einen Abstecher zum Radsport und Inline-Skating, versteifte sich jedoch auf den Eischnelllauf, wo sie in der vergangenen Saison sprunghafte Fortschritte machte. Als dritte Frau, die über 5.000 Meter unter sieben Minuten blieb, verbesserte sie sich auf ihrer Heimbahn in Calgary um wundersame 17 Sekunden. Bei Olympia holte sie Silber über 3.000 Meter, von der Siegerin Claudia Pechstein im gleichen Lauf zur Bestzeit gezogen.
Es kommt in Nordamerika nicht selten vor, dass Quereinsteiger eine späte Chance ergreifen. Derek Parra (USA), lange Zeit nur auf Rollschuhen unterwegs, wurde in Salt Lake City Olympiasieger. Klassens Teamkollegin Clara Hughes, in Erfurt über 3.000 Meter erstmals im Weltcup erfolgreich, kommt vom Radsport. Im Sommer trat sie bei den Commonwealth-Spielen in die Pedale. Es ist Hughes’ dritte Saison auf dem Eis, eine mehr hat Klassen. Beiden wird eine rosige Zukunft vorausgesagt. Sie stehen für die neue kanadische Eislaufgeneration, die Catriona LeMay Doan und Susan Auch ablöst. Auf den Mittelstrecken ist Klassen so erfolgreich wie lange keine Kanadierin mehr. Man muss 26 Jahre zurückgehen zu Sylvia Burka, die 1976 Mehrkampf-WM-Gold gewann. Die Calgary Sun feiert die skatenden Spätstarter bereits als „Winnipeg’s Golden Girls“.
Der Umstieg auf eine Einzelsportart habe ihr ausgesprochen gut getan, erklärt Klassen. „Ich mag es, Sachen allein zu machen. Wenn dir ein Fehler passiert, musst du auch selbst dafür gerade stehen.“ In der Saisonvorbereitung sind ihr nicht allzu viele Fehler unterlaufen. Sie verletzte sich zwar im Sommer während des Joggings am linken Fuß und hat immer noch Schmerzen, doch sonst lief alles rund. Sie hat Stabilität in der Kurve gewonnen, geht die Sprints in einer tieferen Laufposition an, profitierte vom Training mit den Männern und flog diesmal früher nach Europa, um nicht mit einem Jetlag in die ersten Weltcup-Rennen zu gehen. Nur eine Sache bereitet Cindy Klassen Kopfzerbrechen: „Ich habe mich in den letzten zwei Jahren verdammt schnell entwickelt“, sagt sie, „aber jetzt bin ich an einem Level angekommen, wo es sehr schwer ist, kleine Fortschritte zu machen.“
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