Zu viel Öl für eine arme Region

Tankerunglück vor Galicien vernichtet die Existenzgrundlage von 5.000 Familien. 200 Kilometer Küste sind bereits verseucht. Madrid schätzt Schäden auf 90 Millionen Euro. Öl des Tankers soll nun 220 Kilometer von Küste entfernt abgepumpt werden

aus Madrid REINER WANDLER

„Wir stehen vor keiner ökologischen Katastrophe“, verkündete der spanische Landwirtschafts- und Fischereiminister Miguel Arias Cañete am Wochenende. Nur wenige Stunden später strafte ihn das Leben Lügen. Das Öl des am Mittwoch letzter Woche in Seenot geratenen Tankers „Prestige“ schwappte an Galiciens Küste. Mittlerweile sind 200 Kilometer Lüste verseucht. Cañete musste eine Fischereiverbot verhängen. Die Menschen stehen an den Ufern mit Tränen in den Augen.

5.000 Familien haben ihre Existenzgrundlage verloren. Sie leben vom Züchten und Sammeln von Muscheln und Krustentieren. Seit Wochen hatten sie die Ernte ausgesetzt. Die Meeresfrüchte sollten ordentlich an Gewicht zulegen, um so an Weihnachten höhere Gewinne zu erzielen. 800.000 Euro geben die Spanier jährlich an den Festtagen allein für Meeresfrüchte aus. Dieses Jahr werden die Galicier an diesem Konsumrausch nichts verdienen.

„Wir können nichts machen. Wenn uns keiner hilft, können wir nur noch auswandern“, erklärt der Bürgermeister des Fischerortes Muxía, Alberto Blanco, resigniert. Galicien ist eine der ärmsten Regionen Spaniens. Die verseuchte Todesküste zwischen Finisterre, dem westlichsten Punkt Europas, und der Hafenstadt A Coruña, ist aber die fisch- und vor allem meeresfrüchtereichste Region Spaniens. Durch die „marea negra“ (schwarze Flut) entsteht ein Schaden von täglich 7 Millionen Euro. Der Gesamtschaden wird vom Ministerium in Madrid auf über 90 Millionen Euro geschätzt.

In den letzten Jahren haben viele Menschen ihre Arbeit im Fischereiwesen verloren. Schuld daran ist die Weigerung Marokkos, einen erneuten Fischereivertrag mit der EU zu unterschreiben. Die spanische Fischerei wurde so zur Umstrukturierung gezwungen. Viele ehemalige Fischer hatten sich daraufhin auf die Muschelzucht und das Fangen von Krustentieren verlagert.

Die Menschen an der Küste hoffen jetzt darauf, dass nicht noch mehr passiert. Die „Prestige“ mit ihren über 70.000 Tonnen Öl an Bord wurde mittlerweile auf eine Entfernung von 175 Kilometer vor die Küste geschleppt. Der Riss im Rumpf vergrößert sich ständig. Das Deck verformt sich und ein dritter Tank ist mittlerweile leck und verliert Öl. Ziel der Schlepparbeiten ist es, das Schiff, das auseinander zu brechen droht, aus der 120-Meilen-Zone (rund 220 Kilometer) zu manövrieren. Ein holländisches Bergungsunternehmen soll dort das restliche Öl abpumpen, der Kahn dann nach Rotterdam geschleppt werden.

Ein interministerieller Ausschuss in Madrid soll jetzt Soforthilfen für die betroffene Region gewähren. „Die Gelder sollen noch vor Weihnachten fließen“, erklärte ein Sprecher. In Galicien glauben das nur wenige. Zu gut erinnern sie sich noch an das letzte große Tankerunglück an ihrer Küste von vor zehn Jahren. Damals lief die „Aegean Sea“ auf eine Klippe vor A Coruña auf. Die Fischerei musste für zwei Monate, das Sammeln von Meeresfrüchten mehr als ein halbes Jahr eingestellt werden. Die Zahlung der Hilfsgelder lief erst in den letzten Monaten an.