„Ich folge meinem Herzen“

Befreiung zur Liebe: Bei kaum jemand hat das so gut funktioniert wie bei der amerikanischen Künstlerin Dorothee Iannone. Ein Gespräch anlässlich einer kleinen Retrospektive bei Laura Mars

von BRIGITTE WERNEBURG

taz: Der Text, die Erzählung sind integraler Bestandteil Ihrer Kunst. Dadurch erscheint der Zugang zu ihr einfach. Schaut man aber genauer, wird Ihre Kunst sehr komplex und die ornamentale Struktur zu reiner Malerei. Ihre Arbeiten vereinen ganz verschiedene Medien wie Film, Musik und Malerei, so wie Ihre Bilder zugleich gegenständlich und abstrakt erscheinen. Gleichzeitig lösen Sie – wie es die Avantgarde forderte – die Grenze zwischen Leben und Kunst auf. Gibt es einen Begriff, unter dem Sie dieses komplexe Projekt fassen können?

Dorothy Iannone: Nein. Eines führte ganz selbstverständlich zum anderen. Ich folge meinem Herzen bei allem, was ich tue. Und ich tue die Dinge, die ich gerne mache: Schreiben, Malen, Singen. Ich werde von einer Sehnsucht getrieben, meine Gefühle und Gedanken mitzuteilen, meine Erfahrungen, mein Leben, mein Selbst. Und ich hoffe, dass all das anderen Freude macht und ihnen Energie vermittelt, dass die Begegnungen mit meinem Werk ihr Leben auf irgendeine Art bereichert. Für viele Jahrzehnte hat mich die Liebe beschäftigt, besonders die Erotik, die sexuelle Liebe zwischen Männern und Frauen. Am Anfang strebte ich nach völliger Intimität und Vertrautheit, was eigentlich nichts anderes war, als das Verlangen nach ekstatischer Vereinigung mit dem Geliebten. Als ich schließlich erkannte, dass diese vollkommene Vereinigung in einer Beziehung nur für kurze flüchtige Momente möglich ist, begann ich in meinem eigenen Inneren nach ihr zu suchen. Ich war erstaunt, als ich erfuhr, dass im Tibetischen Buddhismus, den ich vor über zwanzig Jahren zu studieren begann, die ekstatische Einheit ein anderer Ausdruck für Erleuchtung ist.

„I am thinking of you“ heißt eine Videoinstallation, die Sie 1975 produzierten. Für diese Arbeit richteten Sie die Kamera auf Ihr Gesicht, um die verschiedenen Phasen sexueller Erregung festzuhalten, während sie sich selbst bis zum Orgasmus stimulierten. Wie kam es, dass Sie so offen mit Sexualität umgehen konnten?

Ich weiß es nicht. Was mich selbst betrifft, war da niemand, der mich daran gehindert hätte, das zu tun, was mir gefiel. Die Zensur meiner Arbeiten hat mich nicht davon abgehalten, weiter das zu malen und zu schreiben, was ich wollte. In den Sechzigerjahren in New York, unterzog ich mich einer Psychoanalyse, was in der damals herrschenden Kultur eine schon fast modische Angelegenheit war. Es war eine überwältigende Erfahrung, dass man während der Analyse alles über sich erzählen konnte, ohne dass davon die Welt unterging. Ich glaube, ich lernte damals mir selbst zu vertrauen. Als ich später damit begann, Paare in allen möglichen sexuellen Situationen zu malen, wollte ich bekräftigen, dass diese Handlungen natürlich sind, und es völlig in Ordnung ist, an ihnen beteiligt zu sein.

Sie hatten in Dieter Roth eine männliche Muse, die Sie unterstützte. Wie wurde er, der doch selbst ein obsessiv arbeitender Künstler war, Ihre Muse?

Es passierte auf einer Reise, im Hotelzimmer. Dieter war schon im Bett, und er lag auf der Seite zum Zimmer. Auf der anderen Seite war die Wand. Ich sagte also zu ihm, „rutsch rüber“. Und er antwortete, „nein“. Ich stieg notgedrungen über ihn hinweg, und dann sagte er, „mach doch das Licht aus“, worauf ich antwortete, „ich kann nicht, es ist auf deiner Seite“. Also machte er brav das Licht aus, dann kam er zurück und wir liebten uns. Das Inspirierende an der Sache war, dass Dieter mich in seine Arme schließen konnte, auch wenn das Tor an mich gegangen war. Und so fing ich an, Bilderbücher zu machen, in denen unsere Gespräche festgehalten waren, und nannte sie „ Dialogues“. Vorher hatte ich ausgeschnittene Holzfiguren von andern Leuten aus Büchern und Zeitungen gemacht, wie von den Beatles oder Bottichellis und so weiter, aber jetzt malte ich uns. Ich schrieb Dieter damals, dass ich so glücklich mit ihm sei, und dass ich dafür einfach keine Worte finden könnte, und deshalb machte ich meine Kunst, um dieses Glück irgendwie auszudrücken.

Bis 29. November, Laura Mars, Sorauer Str. 3. Kreuzberg, Di–Fr. 12–19 Uhr