: Maximiliane, sehr groß, am größten
Vor 25 Jahren starb Maxie Wander. Zu Lebzeiten wurde lediglich ein Buch von ihr veröffentlicht: „Guten Morgen, du Schöne“ über Identitätssuche von Frauen in der DDR. Die von der Westlerin im Osten gelebten Widersprüche sind bis heute aktuell
von WALTRAUD SCHWAB
Maxie Wander – ihr Name hat ein Echo. Es kommt von weit her. Denn heute vor 25 Jahren starb die Schriftstellerin an Krebs. Zu Lebzeiten hat sie nur ein Buch veröffentlicht: „Guten Morgen, du Schöne“ – 19 literarische bearbeitete Lebensprotokolle von DDR-Frauen. Ein Bestseller damals, Ende der 70er-Jahre, sowohl im Osten wie im Westen. Tabus wurden darin gebrochen. Das Unausgesprochene der Sexualität stand gleichwertig neben dem Unkritisierten am politischen System im realen Sozialismus. Dazu eine Sprache, die so leicht, so selbstverständlich, so aus dem Leben daherkam.
Nach ihrem Tod gab Fred Wander, ihr Mann, zudem Tagebuchauszüge und Briefe von ihr heraus. „Leben wär’ eine prima Alternative“, heißt eines dieser Bücher. Darin nähert sie sich mit Worten dem Krebs. Sie war 44 Jahre alt, als sie starb. Viel Zeit, um sich ein Denkmal zu setzen, hatte sie nicht. Dennoch: Die Autorin ist bis heute nicht vergessen. Auch bei denen, die ihre Bücher gar nicht kennen, die zu jung waren für den Aufbruch der Frauen zu jener Zeit. Da liegt es nahe zu vermuten, dass es andere Gründe gibt, die sie im Hörensagen lebendig halten.
Vom Namen geht Wohlklang aus, vielleicht gar Verführung: Maxie, das Attribut, und Wander, an Wunder erinnernd. Auch an Wandern und an die Wand, gegen die zu laufen vermieden sein will. Ja sogar Wandel steckt drin, wenn das „r“ undeutlich gesprochen wird. Maxie Wander konnte das nicht immer vermeiden, mitunter stotterte sie. So zumindest steht es in den Biografien. Sie kam 1933 in Wien zur Welt. Die Eltern: arm und kommunistisch. Mit 17 bricht sie das Gymnasium ab, arbeitet in einer Kartonagenfabrik, im Theater, im österreichischen Friedensrat. Mit 19 verliebt sie sich in den Journalisten Fred Wander, der eigentlich Fritz Rosenblatt heißt und die KZs Auschwitz und Buchenwald überlebt hat.
Zwanzig Jahre später, als 39-Jährige, fasst sie ihr Leben so zusammen: eine Wienerin, die ihre große Liebe gefunden und geheiratet habe, einen 16 Jahre älteren, jüdischen Mann: gut aussehend, liebesfähig, schwermütig. „Sie hat zwei Kinder geboren, eines wieder verloren, hat niemals einen Beruf erlernt, einige aber ausgeübt, sie hat ein Kind aus einem Heim zu sich genommen, hat ihre Heimat verlassen und sie erst danach, viel später, als Heimat begriffen.“ Das Ich kommt in der 3. Person daher.
Als Fred Wander 1955 ans Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig geladen wird, nimmt er an. So kommt Maxie Wander in die DDR. Die beiden dürfen von dort aus ins Ausland reisen. Vor allem Paris hat es ihnen angetan. Die leidenschaftliche Briefeschreiberin probiert sich als Journalistin, als Fotografin.
Wenn es möglich ist, aus den Tagebüchern und Briefen auf Maxie Wander zu schließen, dann war sie ein offene, lebenshungrige, humorvolle Frau, die zuhören konnte, die Menschen zum Sprechen brachte. Eine, die am Alltag der Menschen interessiert war. Eine, die sagte, was sie dachte. Ob sie immer sagte, was sie fühlte, steht dahin. Den Tod ihrer Tochter soll Maxie Wander nie überwunden haben. Es war ein Unglück, das aus Sicht ihres Mannes ein neues Unglück nach sich zog. Er meint ihre Krebserkrankung.
In „Guten Morgen, du Schöne“, lässt Wander die porträtierten Frauen, die nur mit Vornamen vorgestellt sind, verkrustete Strukturen anprangern: nicht eingelöste Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Autoritäre, sinnlose, politische Vorgaben und Geschichtsklitterung. Sehnsucht nach Aufbruch und die Macht der Konventionen. Wander gelingt es, dies mit Charme und aus dem Alltag heraus zu beschreiben. Vielleicht lässt ihr die DDR-Zensur deshalb Sätze durch wie: „Das Strammstehen in der Schule, diese äußerliche, sinnlose Disziplin, Fahnenappell, Augen links, Augen rechts. Was hat das mit Sozialismus zu tun?“
Bis heute sind nicht alle der 19 porträtierten Frauen namentlich bekannt. Sie sind authentisch, obwohl sie anonym sind. Das Inkognito war Maxie Wanders Chance, unangenehme Wahrheiten sagen zu können, und sie hat sie genutzt. In „Guten Morgen, du Schöne“ reden Frauen, die um ihre Identität kämpfen und sie sich nicht verordnen lassen. Dies ist die Nahtstelle, die auch heute aufhorchen lässt: Liegt darin doch die Synthese Maxie Wanders, mit der sie Erfahrungen aus der DDR und dem Westen zusammenfügt.
Maxie Wander war Freigeist und überzeugte Kommunistin, sie war subversiv und offen, sie wurde von der Stasi bespitzelt und gleichzeitig vermutlich zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Nationale Verteidigung gedrängt, weil sie lange in Kleinmachnow direkt an der Mauer wohnte, sie hinterfragte den DDR-Sozialismus und lebte als Westlerin im Osten. Trotz oder wegen dieser Widersprüche versuchte sie nicht, sich verbiegen lassen. Vielleicht ist sie am Ende gescheitert. Das ist nicht klar. Aber sie versuchte etwas, was zumindest in Berlin seit der Wende alle angeht.
Wenn nicht in dieser Stadt, wo dann müssen auf der geistigen und menschlichen Ebene Erfahrungen aus Sozialismus und Demokratie, Kommunismus und Kapitalismus zusammengefügt werden? Die DDR mag kollabiert sein, die Erfahrungen, die die Menschen damit gemacht haben, sind trotzdem noch lange nicht vergessen. Maxie Wander hat in ihren Texten die verschiedenen politischen Ausgangssituationen integriert. Es sind solche Einsichten, für die das Echo ihres Namens steht. Damit aber auch für: die Wand, gegen die zu laufen vermieden sein will. Das Wunder. Das Wandern. Der Wandel. Am Ende mag dann auch die Verführung, die durch das Attribut, den Vornamen, entsteht, eine Rolle spielen. Maximiliane – sehr groß, am größten. Ein Pseudonym. Eigentlich hieß sie Elfriede und wurde Fritzi genannt.
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