„Coaching ist so gut wie ein Firmenwagen“

Ein Gespräch mit Renate Beisner, Coach und Coach-Ausbilderin, über die Unterschiede zwischen Supervision und Therapie, wie man sie merkt, warum Coaching heutzutage als so wichtig angesehen wird und welcher Coach zu wem passt

Renate Beisner ist seit 1992 „auf dem Markt“, seit 1995 bildet sie in ihrem eigenen Institut SupervisorInnen und Coaches aus.

taz: Gibt es feststehende Definitionen der Begriffe Supervision und Coaching?

Renate Beisner: In meinem Verständnis natürlich, aber da scheiden sich die Geister. Fangen wir mit dem älteren Begriff an, der Supervision: Sie ist eine Begleitung von beruflicher Arbeit im Kontext der Arbeit mit Menschen. Der Begriff ist aus dem Amerikanischen übernommen worden, aber der Supervisor dort ist Chef, nicht Berater.

Woher kommt der Gedanke der Supervision?

Man hat sich gefragt, was Menschen an Unterstützung und Hilfe brauchen, die unter starken psychischen Belastungen arbeiten, weil sie immer mit dem Leid von Menschen konfrontiert sind? Wir wollen eine Art Psyche-Hygiene betreiben.

Wann kommt Supervision zum Einsatz?

Immer wenn es „menschelt“, ist das ein Kostenfaktor für eine Institution, dann scheint Supervision nötig. Es geht ja darum, die Arbeit, die im Betrieb zu tun ist, zu erleichtern. Die Arbeit soll effizienter werden, Zeitverluste, die durch Reibung entstehen, sollen reduziert werden. Mein Kollege, Dr. Buchinger, sagt immer: „Der Mensch ist der natürliche Feind des Unternehmens.“

Was macht die Supervision mit diesem „Feind“?

Je nach Lage kommt die Gruppensupervision nach Balint zum Einsatz, oder die Teamsupervision. Herr Balint hat sich einmal für Ärzte überlegt, dass sie Unterstützung bekommen müssen, ohne dabei ihr Gesicht in der Institution zu verlieren. Deshalb sprechen wir heute in so einem Fall die Gruppe der Ärzte an. Ursprünglich wurden da vor allem Fälle besprochen. Im Gegensatz dazu würde es in einer Team-Supervision mit Ärzten, Schwestern und Pflegern darum gehen, wie sie miteinander arbeiten: „Stört ihr euch? Könnt ihr Konflikte austragen? Wie sind die Rollen verteilt?“ Außerdem stellt sich die Frage, wie das Team, hier also die Krankenhaus-Station, innerhalb der Gesamtinstitution verankert ist. Darüberhinaus gibts noch die Einzelsupervision.

In Unternehmen gibt es statt der Supervision das Coaching. Was ist der Unterschied?

Coaching ist in der Definition für mich, nach der Schule von Wolfgang Looss, Einzelberatung von Führungskräften in Machtumgebungen. Was wir also tun ist, Manager, die unter Vereinsamung und Überlastung leiden, in ihrer Rolle und damit in ihrem Umgang mit dem Thema Macht zu beraten. Leider haben wir heute einen Missbrauch des Begriffs Coaching: etwa Bildungscoaching oder Karrierecoaching. Aber Karriereberatung ist Karriereberatung, den Begriff haben wir schon ganz lange.

Und woher kommt der „richtige“ Coaching-Begriff?

Aus dem Sport. Der Coach unterstützt gezielt einen Einzelkämpfer in seiner Professionalisierung. Manager sind Einzelkämpfer. Wohin sollen sie sich mit den Problemen wenden, die das mit sich bringt? In eine soziale Beratungsstelle können sie nicht gehen. Wenn das jemand sieht, verlieren sie sofort ihr Gesicht. Coaching bietet den geschützten Raum zur Entlastung.

Zeigen Manager, die sich coachen lassen, „Schwäche“?

Heute nicht mehr. Als wir vor etwa zwölf Jahren damit angefangen haben, hatte man Angst davor, sich eine Blöße zu geben, weil das Selbstverständnis des Managers sich über das „Machen“, das „Bewältigen“ speist. Der Coach war für den Manager das Schlimmste, was ihm passieren konnte, weil der sich fragte, ob er krank ist. Das hat sich geändert. Heute sind wir so weit, dass Coaching sogar ein Statusgewinn ist. Das ist mindestens so gut wie ein Firmenwagen. Wer Coaching bekommt, der ist wer im Unternehmen.

Wo verläuft die Abgrenzung zur Therapie?

Alle beraterischen Ansätze, ob Supervision oder Coaching , sind handlungsorientiert. Gleich mit der Therapie ist, dass alle Formen aufdeckend arbeiten. Nach dem Aufdecken geht es in der Beratung aber in die Handlungsorientierung: „Was machst du jetzt damit?“ In der Therapie geht es in die Tiefe: „Woher kommt das? Wie kannst du Schmerzen lindern?“ Das tun Berater nicht.

Woran erkenne ich, wenn sich die Beratung Richtung Therapie verselbstständigt?

Ein Kriterium, worauf man achten kann, ist die Zeit: Wenn ein Supervisor länger mit derselben Einrichtung arbeitet, sollte er nach spätestens zwei oder drei Jahren selbst auf einen Wechsel achten. Und wenn ich als Coach mehr als zehn Sitzungen mit einer Führungskraft verbringe, muss ich mich fragen, ob ich nicht heilungsorientiert arbeite.

Wie hat sich die Supervision in Deutschland entwickelt?

In den achtziger Jahren gab es einen Wildwuchs auf dem Gebiet. Als Reaktion darauf hat sich die Supervision stark professionalisiert, Berufsverbände entstanden, in Deutschland die Deutsche Gesellschaft für Supervision, DGSv, die auch Abschlüsse zertifiziert.Die Qualitätsstandards wurden im Lauf der Zeit immer höher getrieben. Supervision ist zu einer gesellschaftlichen Institution geworden.

Was sind Ausbildungsstandards?

Die Ausbildung dauert im Schnitt drei Jahre. Wichtig ist die Ausgewogenheit zwischen der selbsterfahrenen Supervision und den zu lernenden Inhalten. Die Leute sollen schnell praxisfähig werden, müssen selbst schon während der Ausbildung Supervisionen durchführen und sich darüber supervidieren lassen ...

... damit beim „Supervision-Üben“ nichts schief geht?

Genau. Außerdem gibt es Eingangsvoraussetzungen wie etwa das Alter oder eine Ausbildung. In der Regel haben die angehenden SupervisorInnen schon Erfahrung in der Arbeit an Menschen, PsychologInnen oder PädagogInnen etwa. Man setzt auf diese Ausbildung etwas oben drauf. Wenn wir die Leute auf den Markt lassen, sind das keine 21-jährigen Anfänger mehr.

Was muss ein guter Coach mitbringen?

Er muss neben seinem breiten fachlichen auch umfassendes menschliches und gesellschaftliches Wissen haben. Ideal ist es, wenn er selbst mal in der Hierarchie gearbeitet hat. Außerdem sollte er altersangemessen sein. Er ist dann wie ein Weiser, mit dem die Führungskraft „palavern“ kann. Auf jeden Fall muss es jemand sein, den der Manager sehr achtet, damit er sich von ihm etwas sagen lassen kann. Ich bin mit Ende vierzig für eine bestimmte Gruppe ein guter Coach. Aber mich würde kein Vorstandsvorsitzender um die 60 annehmen, weil ich noch zu jung, und weil ich Frau bin.

Was heißt das für die Geschlechterverteilung unter den Coaches?

Früher gab es in den Ausbildungen mehr Männer, das ändert sich derzeit. In der Praxis finden sich vor allem auf höheren Hierarchieebenen mehr männliche Coaches. Immer dann, wenn BeraterInnen mit Themen wie Macht und Geld in Kontakt kommen, wird der Männer-Anteil größer.

Interview: Ulrike Bendrat