Weich fließen

Die Wiederkehr der Euphorie des Raves: Underworld sorgten bei ihrer Show in der Arena für alte Erleuchtungen

Man hatte anderes erwartet. Am Weg zum Eingang standen keine Jungen mit Basecaps und Rucksack den Blick zur Frage formuliert: Willst du? An der Türe ist wieder alles klar, die Kontrollen sind lax, was man mitnehmen möchte, kann mit. Niemand würde kleine Tüten zwischen den Zehen verstecken müssen. Der Türsteher nickt, man tritt ein und sieht: Weite unter der tiefen Decke der Arena. Vor der silbernen Bühne sammeln sich Menschen, die Stimmen der ersten tausend rauschen und das Herz hüpft. Freudige Erwartung, plötzlich weiß man: Hier wird es geil groß, geil laut, geil spaßig.

Verdammt gute Laune macht das. Der Blick sucht die Menschen ab. Pärchen aus Lichtenberg, Turnschuhe aus Mitte, Universalfrauen, Sakko-Ehepaare, knutschende Glatzen, Gesichter frisch aus Würzburg oder gezeichnet von einem Jahrzehnt Tresor. Sie sind gekommen um Underworld zu sehen, zu fühlen. Hier treffen sich die, die 1996 „Trainspotting“, zu dem Underworld den Sound produzierten, mit großen Augen in einem kleinen Kino in der Provinz sahen und an ein weites Leben glaubten, und die, denen der Film die Bilder zu ihrem Leben schenkte.

Noch ist es dunkel auf der Bühne, alles wartet, schlendert, rennt über den dunklen Boden zur Bar, ein Bier, Wodka-Lemon, Gin-Tonic, begrüßen, umarmen, die bekannten Gesichter, zur Toilette, erleichtern, einkaufen für die nächsten Stunden. Die Geschäftigkeit vor jedem Konzert, das Fertigmachen. Nach einer Stunde, endlich. Rechts und links die ersten Angeknallten. Das Silber auf der Bühne leuchtet Gold. Karl Hyde und Rick Smith, die nach langen Geldstreitigkeiten und der Trennung von DJ Darren Emerson Underworld sind, betreten die Bühne. „Berlin“ leuchtet eine weiße Schrift, wird größer, rast auseinander.

Die Bühne eine Kanzel, hinter dem riesigen Mischpult stehen Hyde und Smith, jagen erste Töne über die Menge, Pfiffe, Arme gehen hoch, es geht los. Die ersten Körper bewegen sich, andere stehen, nicken mit dem Kopf, die Daumen in den Hosentaschen. Karl Hyde ist sehr exstatisch. Er ist der Vortänzer, die Bühne sein Thron, sein Spielplatz. Er kommt zur Kante, tanzt vor, bewegt sich zuckende Schlange, schreit, stößt seine Textfetzen, die bei Underworld keinen tiefen Sinn haben müssen, über die Köpfe. „I dreamed that I’d become chemical“. Lichtblitze rasen über die Menge. Weiß aus den Nebelmaschinen. Nach einer halben Stunde endlich „Two Months Off“, der Track vom gleichnamigen zuletzt veröffentlichten Album, der im Sommer jede Traurigkeit wie die bunten Stoffe einer Ecstasypille aus dem Gehirn wegjagte und zum Stammset jedes guten DJs gehörte. Karl Hydes Arme reißen die Luft auseinander, sein Gesicht stahlt, er weiß, dass er es jetzt geschafft hat. Es gibt Platz zum Bewegen, alle sind dabei, die Clubkinder, Sakkopaare, Universalfrauen, alle. Schließen ihre Augen, fließen zur Musik, enthemmt von der Gewissheit jetzt gut auszusehen. Euphorie gießt sich über die Arena. Die Beats, schneller, lauter, „You bring light“, „You bring light“, „You bring light“, immer wieder Karls Stimme. Aus der Euphorie schöpft sich ein Gefühl, ein Gedanke, der sagt, Rave ist nicht tot. Wir sind dabei, zusammen, die große alte Idee vom Verschmelzen mit der Masse, warm und weich, Glück der Nacht. Die Love Parade ist tot, Rave lebt. Geil groß, geil laut, geil spaßig.

Nach zwei Stunden sind die Götter dieser Nacht, Hyde und Smith, durch. Wie die Menge tanzen sie weiter, im Club. Wissen, wann es zu Ende ist und vor allem, wissen, wo es weiter geht.

HENNING KOBER