Asyl bietet nur die Wohlfahrt

Viele obdachlose Flüchtlinge finden Hilfe und Unterkunft bei den Wohlfahrtsverbänden – auch ohne Aufenthaltsgenehmigung. Doch die Einrichtungen sind dazu weder befugt noch ausgestattet

von JÜRGEN SCHULZ

„Die Hausordnung habe ich mittlerweile in 14 Sprachen“, sagt Jürgen Mark. Eigentlich brauchte der Leiter des Übernachtungsheims Franklinstraße viel mehr. „Voriges Jahr kamen Menschen aus 18 verschiedenen Staaten zu uns, vor allem aus Polen und Litauen“, sagt er, „der Ausländeranteil lag bei 23 Prozent.“

Das Haus in Charlottenburg hat eine Besonderheit. Nur hier finden wohnungs- und mittellose Menschen – gleich welcher Herkunft – das ganze Jahr über unkompliziert eine Unterkunft. Es gibt 73 Schlafplätze, Essen, Duschen, medizinische Versorgungs- und Beratungsangebote inklusive. Unbürokratische Behandlung ohne Überprüfung der Papiere ist besonders für Flüchtlinge wichtig. „Wir gehen davon aus, dass ein Großteil der Migranten in unseren Einrichtungen keine Aufenthaltsgenehmigung hat“, sagt Peter Wagener, Fachbereichsleiter Migration und Wohnungslosenhilfe beim Caritasverband, einem der Träger der Franklinstraße. Selbst in Notsituationen scheuten „Illegale“ den Gang zum Ausländeramt oder auch zum Arzt – aus Angst vor Registrierung und Abschiebung. In der Franklinstraße finden sie höchstens zehn Tage eine Unterkunft, laut Mark kommen die meisten anschließend bei Freunden und Bekannten unter.

„Wir kriegen die Krisen der Welt hier zeitversetzt mit“, sagt der Sozialpädagoge. Als beispielsweise 1989 in Liberia der Bürgerkrieg ausbrach, klingelten zwei Wochen später die ersten Flüchtlinge aus Monrovia. Bis heute gilt: „Wenn diese Menschen eintreffen und die Ausländerbehörde geschlossen hat, bringt die Polizei sie zu uns und fragt nicht, ob jemand illegal hier ist. Das ist eine Art Gentleman’s Agreement mit der Polizei“, erklärt der Leiter. Dazu gehöre auch, dass die Ordnungshüter keine Razzien wegen der fehlenden Aufenthaltsgenehmigung in seinem Haus durchführen. Mark versucht, falls gewünscht, in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen die nächsten notwendigen Schritte einzuleiten – zum Beispiel die Meldung bei der Ausländerbehörde und den Asylantrag.

Nach dem Bundessozialhilfegesetz haben die Illegalen allerdings keinen Anspruch auf Hilfe. „Offiziell dürfen wir uns nicht um diese Migranten kümmern. Von der Politik wird es aber geduldet“, sagt Peter Wagener vom Caritasverband. In den Caritas-Einrichtungen wie Suppenküchen, Notunterkünften und bei der medizinischen Versorgung seien inzwischen 17 und 27 Prozent der Kunden Migranten, hat er ausgerechnet. „Diese Zahlen kann man auf andere Einrichtungen übertragen.“

Offizielle Statisiken über Migranten ohne Obdach, geschweige denn über jene, die illegal in Berlin leben, gibt es allerdings noch nicht. Und das, obwohl deutschlandweit viele Wohlfahrtsverbände über ähnlich hohe Zahlen berichten, wie kürzlich auf einem internationalen Kongress über „Migration und Wohnungslosigkeit“ in Berlin. „Wir haben eine hohe Dunkelziffer“, resümiert Wagener. Immerhin: Über die Zahl der Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus in der Stadt existiert eine Schätzung: Barbara John, Ausländerbeauftragte des Senats, geht von 100.000 aus. Ein Großteil davon sei auch wohnungslos, glaubt Peter Wagener. Die Mitarbeiter etwa in den Beratungsstellen und der medizinischen Versorgung würden von einer verstärkten Nachfrage durch Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung seit dem Fall der Mauer berichten. Das bestätigt auch Jürgen Mark für die Franklinstraße: „Seit der Wende ist die Zahl um etwa 10 Prozent angestiegen.“

Wagener beklagt, dass die Einrichtungen für die wachsende neue Klientel weder finanziell noch personell ausgestattet seien: „Unsere Mitarbeiter müssen Migranten auch beraten können – etwa über ihre Rechte. Das heißt: Sie brauchen sprachliche Kompetenz.“ Wagener fordert deshalb eine „interkulturelle Schulung“ der Sozialarbeiter in der Wohnungslosenhilfe.

Auch im Übernachtungsheim Franklinstraße reichen Jürgen Marks Englischkenntnisse inzwischen nur noch bedingt. Und mit vielen rechtlichen migrationsspezifischen Fragen ist er zuweilen überfordert. Für die sprachlichen Probleme hat er inzwischen ein Netz von Übersetzern, die er auch abends kurz anrufen kann.