Super-Adler ohne Flügel

Der Fußball-Olympiasieger Abiodun Obafemi, 28, kickt heute in der schwäbischen Bezirksliga

aus Augsburg BASTIAN OBERMAYER

Unter dem neongelben Leibchen des FC Augsburg trägt Abiodun Obafemi den Trainingsanzug und das Trikot der nigerianischen Nationalmannschaft. Vielleicht kann der Fußball-Olympiasieger von 1996 so besser ertragen, dass er an diesem kalten Donnerstagabend auf einem der hinteren Kunstrasenplätze der Augsburger Paul-Renz-Bezirkssportanlage im Flutlicht fünf gegen fünf spielt. Die Mitspieler des 28-jährigen Exprofis kicken sonntags mit der zweiten Mannschaft des FC Augsburg in der Bezirksliga und sind nicht einmal ansatzweise in der Lage, seine Spielideen zu verstehen. Das alles lässt sich Abiodun Obafemi aber nicht anmerken. Er treibt und streichelt den Ball ohne hinzusehen, schlägt aus dem Fußgelenk millimetergenaue Flankenwechsel über 30 Meter und beschwert sich nicht einmal, wenn ein anderer aus drei Meter Entfernung keinen anständigen Pass zustande bekommt.

Sie waren die Nationalhelden Nigerias, die Super-Adler, die 1996 beim olympischen Fußballturnier in Atlanta ein ganzes Land, einen ganzen Kontinent mit sich fliegen und träumen ließen. Zum ersten Mal gewann eine afrikanische Mannschaft einen wichtigen Titel im Fußball. Und wie sie ihn gewann. Im Halbfinale musste sich der haushohe Favorit Brasilien mit 4:3 geschlagen geben. Ronaldo, Rivaldo, Ronaldinho und Roberto Carlos, die Superstars von heute, sie alle standen damals im brasilianischen Olympiateam. Im Finale folgte vor 86.117 Zuschauern ein 3:2-Sieg gegen Argentinien, mit Crespo, mit Simeone. Die Sensation war perfekt. „Fußball ist in Nigeria wie eine Religion. Unser ganzes Land hat geweint vor Freude“, erzählt Obafemi in einem trostlosen, kahlen Nebenzimmer der Sportgaststätte des FCA. Nebenan läuft Eishockey auf Premiere, die Panther aus Augsburg liegen mit 0:3 hinten gegen die Pinguine aus Krefeld.

Nach dem Olympiasieg standen die Vereine Schlange bei Abiodun Obafemi. Schalke 04 wollte ihn, Manchester City auch. Obafemi entschied sich für Fortuna Düsseldorf, unter anderem weil er mit Trainer Aleksandar Ristic gut zurechtkam. Zwischendurch spielte er auch beim FC Toulouse in Frankreich, aber es zog ihn zurück nach Düsseldorf. Dass seine Kollegen aus der Nationalmannschaft bei FC Barcelona, Inter Mailand oder Borussia Dortmund zu Millionären wurden, hat ihn nicht gestört. „Geld ist nicht so wichtig. Wenn man sich nicht wohl fühlt, kann man nicht gut Fußball spielen. Und außerdem hat es meiner Familie dort gut gefallen. Das ist wichtig“, meint Obafemi. Als Düsseldorf aus der ersten Bundesliga abstieg, wechselte Obafemi zum SSV Reutlingen, mit dem er in die zweite Bundesliga aufstieg. Dort verließ ihn das Glück. Er verletzte sich, wieder und wieder. Fast immer am Oberschenkel. Irgendwann fand er in Reutlingen und bald darauf in der Nationalmannschaft Nigerias nicht mehr den Weg in die Mannschaft.

Das Auge eines Luchses

Im Januar 2001 wechselte Obafemi zum damaligen Bayernligisten FC Augsburg. Es sollte ein Neuanfang werden. Doch Obafemi, der „glänzende Techniker mit dem Auge eines Luchses“, wie ihn der Reutlinger Generalanzeiger einmal beschrieb, kam mit der robusten Spielweise in der Bayernliga nicht zurecht. Dann erwischte es ihn wieder: doppelter Muskelfaserriss im Oberschenkel. Zuletzt sah man Obafemi in Augsburg nicht mehr als Verstärkung für die Mannschaft. Er hätte seinen Vertrag bis Sommer 2003 aussitzen können, wie es schon viele aussortierte Profis getan haben. Aber das ließ sein Stolz nicht zu. „Ich wollte nicht im Weg sein, wenn der Trainer meint, dass er mich nicht braucht“, sagt er. Er bat darum, den Vertrag aufzulösen. „Herr Obafemi hat sich immer tadellos verhalten“, lobt Markus Krapf, Offizieller beim FC Augsburg. Als Dank darf sich Abiodun Obafemi nun in der zweiten Mannschaft fit halten. In der Bezirksliga. „Wir betrachten das auch als einen sozialen Auftrag“, sagt Krapf. Er macht sich Sorgen. Um Obafemi und um den Ruf des FC Augsburg. Wie sieht das denn aus, wenn ein Olympiasieger nur in der Bezirksliga spielt?

Abiodun Obafemi war nie der Superstar des nigerianischen Teams, das waren Kanu, Okocha oder Taribo West, aber Obafemi war einer der Super-Eagles. Und wie die anderen bekam auch er als Belohnung vom nigerianischen Staat ein Haus geschenkt. Dort wohnt seine Frau Remi mit den drei Kindern, seit sie im Mai Deutschland verlassen mussten. Kein Arbeitsvertrag – keine Aufenthaltsgenehmigung. Obafemi ist mit einem Touristenvisum hier, das im Dezember abläuft. So lange hat er noch Zeit, einen Verein zu finden. „Ich vermisse meine Familie sehr. Aber ich muss hier bleiben und bereit sein. Wenn ich einen Verein habe, kann ich sie wieder hierher holen“, sagt er beschwörend. Und dann, immer wieder, „ich muss bereit sein, ich muss fit sein“.

Trainieren und warten

Die Reserve des FC Augsburg trainiert dreimal pro Woche. Für einen Profi ist das zu wenig. Obafemi trainiert jeden Tag, manchmal zweimal. „Ich kann hier ja sonst nichts tun, außer zu warten“, meint er. Er wohnt jetzt neben dem Trainingsgelände im Hotel Alpenhof. Die alte Vierzimmerwohnung hat er aufgegeben, als seine Familie zurück nach Nigeria musste. „Zu groß für mich allein“, erklärt er mit leiser Stimme und versucht zu lächeln.

Momentan ist es für arbeitslose Fußballprofis schwerer denn je, einen neuen Verein zu finden, zumal für Nicht-EU-Ausländer, die nur noch in der ersten und zweiten Liga verpflichtet werden dürfen. Außerdem hat Obafemi keinen Berater, der ihm bei der Vereinssuche helfen könnte. Aber kein Berater ist immer noch besser als ein schlechter Berater. Obafemi stand lange bei Rolf Wegener unter Vertrag, einem dubiosen Spielervermittler ohne Lizenz, von dem es heißt, er habe mit afrikanischen Spielern Handel betrieben wie andere mit Kohlen, und der laut einem ARD-Report auch tief im Waffengeschäft steckt. In den letzten Tagen erschien Wegeners Name in den Zeitungen, weil man ihn unter den Spendern für Möllemanns antiisraelische Flugblattkampagne vermutete.

Abiodun Obafemi spricht nicht über Wegener, erst recht nicht über angebliche Knebelverträge oder darüber, wie viel Prozent seines Gehalts an Wegener gingen. Nur dass es ein großer Fehler war, dem windigen Geschäftsmann zu vertrauen. „Ich kann nichts rückgängig machen, vorbei ist vorbei. Ich muss nach vorne schauen“, sagt er. Nach seiner Spielerkarriere will Obafemi selbst Berater werden: „Junge Spieler machen Fehler. Ich habe viel Erfahrung und kann ihnen helfen, seriös und professionell.“

Noch hat er aber seine Spielerlaufbahn nicht aufgegeben. Obafemi ist nicht wählerisch. Irgendeine Profimannschaft, am liebsten in Deutschland, aber er würde auch ins Ausland wechseln. „Ich muss wieder Geld verdienen“, sagt er mit Sorgenfalten auf der Stirn. In Nigeria hat er noch vier Schwestern und zwei Brüder zu versorgen. Im Moment lebt er von seinen Ersparnissen. Der FC Augsburg stellt ihm ein Auto zur Verfügung und zahlt Benzingeld. Dafür spielt Obafemi in der Bezirksliga – mit der gebührenden Vorsicht. „Ich darf mich nicht verletzen, ich muss aufpassen, ich muss gesund sein“, wiederholt er gebetsmühlenartig. Ein Bezirksligaspiel wird über Kampf gewonnen, da wird gekloppt und getreten. Ein Techniker wie Obafemi bekommt da schon mal richtig auf die Knochen.

Wie ein makabrer Scherz

Im Nachhinein muss es wie ein makabrer Scherz wirken. Im Mai dieses Jahres, ungefähr zu der Zeit als Abiodun Obafemi seinen Vertrag als professioneller Fußballspieler in Augsburg auflöste und seine Familie ohne ihn nach Nigeria musste, meldete sich der ehemalige Profi Wynton Rufer bei ihm und bat ihn, für eine gute Sache in einer Weltauswahl zu kicken. So spielte Obafemi am 13. Mai 2002 vor 50.000 Zuschauern Seite an Seite mit Ze Roberto, Paulo Sergio und Bebeto zugunsten brasilianischer Straßenkinder gegen Borussia Dortmund. Die Weltauswahl verlor zwar mit 2:3, aber Obafemi gab dem Brasilianer Jardel immerhin die Vorlage zum zwischenzeitlichen 2:2.

„Es war Wahnsinn für mich, mit diesen Spielern auf dem Platz zu stehen“, schwärmt der Nigerianer. Zum ersten Mal leuchten seine Augen wirklich. Dann verabschiedet er sich und trabt noch ein paar Runden über die Trainingsplätze, auf der Haut das Trikot, das ihn an die guten Tage erinnert. Die Gaststätte füllt sich inzwischen immer mehr. Die Augsburger Panther haben 1:6 verloren.