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Aufgeblasene Personen

Alien-Jäger, Nonnen, Nackte – alle normal, nur die Kultursenatorin Dana Horakova fällt aus dem Rahmen. Roland Schimmelpfennigs Stück „Vorher/Nachher“ in Hamburg

Menschen zum Einfühlen, gezeichnet mit teilnehmender Neugier

Eins von drei Dingen braucht ein Intendant mindestens zum Überleben: gute Zahlen, gute Presse oder gute Freunde in der Politik.

Tom Stromberg, der Chef des Deutschen Schauspielhauses, kennt davon nichts. Er hat stattdessen ein bedrohlich wachsendes Defizit im Haus, die politisch instrumentalisierte Hetz- und Nörgelpresse des Axel Springer Verlags im Nacken und ein Senats-U-Boot dieser fünften Kolonne Ronald Schills als Dienstherrin: die ehemalige Bild-Kulturredakteurin Dana Horakova, die sich zwar nur ein einziges Mal selbst ins Schauspielhaus getraut hat, aber als Kultursenatorin von der Mission beseelt ist, Stromberg zu beseitigen, weil dessen Ästhetik ihr nicht passt.

Auf keinen Fall wird Strombergs Fünfjahresvertrag verlängert, aber lieber wäre es der „Horrorkova“ (wie sie bei den Betroffenen ihrer Politik einmütig heißt), dass er vorher geht. In der letzten Aufsichtsratssitzung, auf der das Theater seine bedrohliche Auslastungslage präsentieren musste, wurde dann – nachdem die Leitung des Hauses den Raum verlassen hatte – auch schon einmal über „zweieinhalb Nachfolgekandidaten“ geredet, falls man Stromberg mit seinem Defizit das Genick brechen kann. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um den ehemaligen und den jetzigen Intendanten in Bochum, Leander Haußmann und Matthias Hartmann, sowie den einstigen Chef der Stiftung Weimarer Klassik, Bernd Kauffmann. Zwei der „-manns“ sind gerade frei, der Dritte, Hartmann, dürfte wegen seiner Festanstellung im Pott nur als halbe Nummer gehen.

Selbst wenn man Stromberg nicht für den idealen Intendanten des Schauspielhauses hält, ist dieses schlechte Schauspiel, bei dem die staatlichen Super-Defizit-Macher anderen ihr Defizit als Entlassungsgrund anhängen wollen, um damit ihre banalen Vorstellungen von Glamour-Kultur umzusetzen, ein Skandal. Zumal das Schauspielhaus dem rechten Senat längst keinen Anlass mehr bietet, hier Avantgarde, Linksradikalismus oder Hyperintellektualität zu vermuten.

„Vorher/Nachher“, das neue Stück von Roland Schimmelpfennig, das am Freitag dort uraufgeführt wurde, ist nur eine weitere Bestätigung für die neue zuschauerkompatible Theaterkunst, wie sie nach der anfänglichen Krise mit abgestandener „Avantgarde“ hier den Spielplan bestimmt.

In den 51 kurzen Szenen geht es um das Spannungsverhältnis von Sehnsucht und Kommunikationsroutinen. 40 Figuren, manche fantastisch, manche real, handeln aus Unzufriedenheit mit sich selbst, dem Partner oder den Umständen die verschiedenen Alternativen zu diesem Gefühl aus. Eine Frau fängt eine Affäre mit einem Arbeitskollegen an, ein Mann steigt durch ein Bild von 1871 und wird Industriekapitän, eine Kosmetikerin schleppt einen Erfolgstypen ab, um die eigene Erfolglosigkeit zu verstehen, und „die sich ständig verändernde Frau“ erlebt pro Tag diverse Metamorphosen körperlicher und beruflicher Art.

Zwölf Schauspieler versammelt Jürgen Gosch auf der riesigen, leeren Bühne, die nur von einer langsam kreiselnden, schwarzweißen Wand (Bühne: Johannes Schütz) bereichert wird, und lässt sie in einem permanenten Akt des Aus- und Anziehens neue Menschen oder Liebespaare werden. Handwerker, Eifersüchtige, Alien-Jäger, Russen, Geschäftsleute, Nonnen, Nackte – und alle irgendwie Normale. Menschen zum Wiedererkennen und Einfühlen, deren Konflikte unsere Konflikte oder die von unseren Bekannten sind, und die Schimmelpfennig, Gosch und das Ensemble mit der Fantasie der Präzision kurz zu Persönlichkeiten aufblasen – gerade lang genug, damit das Wohlbekannte nicht das Langweilige wird.

Getragen von leichtem Humor erinnert diese Skizzensammlung doch stark an die Gesellschaftsbilder von Handke und Botho Strauß, nur dass hier das Personal und die Perspektive aktualisiert sind. Nicht mehr der großbürgerliche Kennerblick verwaltet hier die Menschheit, sondern die teilhabende Neugier. Vielleicht ein kleiner Wink an die Frau Senatorin, mal wieder ins Theater zu gehen.

TILL BRIEGLEB

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