: Kalte Schönheit
Am besten als Liebesfilm anzusehen: Chantal Akermans Proust-Verfilmung „Die Gefangene“ im Metropolis
Eine Erklärung gibt es nicht für Simon, der um jeden Preis versucht, hinter das Geheimnis der Frauen zu kommen. Er: „Wir sind wie Fremde.“ Sie: „Genau das mag ich. Würden Sie mir alles erzählen, würde ich Sie weniger lieben.“ Er: „Bei mir ist es genau umgekehrt.“
Der zerbrechliche, feminine Allergiker lebt in Chantal Akermans Adaption von Marcel Prousts La Prisonnière (Die Gefangene) in einer gedämpften, körperlosen Welt. In zu großen, steifen Anzügen schlurft er flüsternd durch seine große Pariser Altbauwohnung, die er mit seiner Großmutter und seiner Geliebten Ariane teilt. Nur Arianes fröhlicher Gesang lässt diese Welt erzittern und ein anderes Leben aufscheinen: Ihre Stimme und ihr Körper erzählen von einer Autonomie, die jeden vermeintlichen Zwang freiwillig auf sich nimmt. Wenn Simon sie per Telefon von ihrem Zimmer in sein Schlafgemach ruft, kommt sie und legt sich zu ihm.
Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich hingibt, eigentlich ein Beweis ihrer Liebe, wird den Racine-Studien treibenden Simon in Verzweiflung stürzen. Sein Begehren bietet ihm keinen Schlüssel zur Welt der Frauen, Voyeurismus und Überwachung bleiben die einzigen Strategien des analytisch vorgehenden Mannes. Ihnen widersteht Ariane, solange sie sich auf dieses Spiel nicht einlässt. Sie bleibt verlockend und unerreichbar. Also muss Simon sie bestrafen.
In der großbürgerlichen Welt, in der sich diese Figuren bewegen, bleibt ihnen, frei von Alltagssorgen, nur die Beschäftigung mit sich selbst. Jede Handlung geschieht um ihrer selbst willen – auch die Liebe. Warum Ariane dies aushält und Simon nicht, bleibt ein Geheimnis, das Akerman nicht ausloten will. Sie feiert einen Unterschied der Geschlechter, der noch ganz andere Männer als Proust dicke Bücher hat schreiben lassen. Und der so vielleicht gar nicht mehr existiert. Eine kalte Schönheit geht von diesem menschenleeren Film aus, den man am besten einfach als Liebesfilm genießt. Sonst scheitert man möglicherweise an ihm wie Simon an Ariane. Dirk Schneider
heute, 19 Uhr, Metropolis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen