Geschäft ohne Gesetz

aus Brüssel FRANÇOIS MISSER

Als es ans Eingemachte ging, musste die Presse den Raum verlassen. Offenbar wollten die versammelten Direktoren und Wirtschaftsvertreter nicht, dass die Öffentlichkeit erfährt, wer für und wer gegen die Forderung der anwesenden Nichtregierungsorganisationen war. Diese hatten bei der Diskussion über die Grenzen unternehmerischen Handelns in Konfliktgebieten Transparenz gefordert. Transparenz darüber, wie internationale Konzerne im korrupten Nigeria oder im diktatorischen Birma arbeiten.

Dabei betraf die Tagung in Brüssel, organisiert vom belgischen Außenhandelsministerium, eine zentrale Frage in der Debatte um Konfliktlösung und Entwicklung: nämlich die Rolle von Privatunternehmen in Krisenregionen. Dass Konzerne durch die Ausbeutung von Rohstoffen Kriege und Diktaturen am Leben halten können, ist inzwischen ein Gemeinplatz unter Globalisierungskritikern. Was Mitte der 90er-Jahre mit wenig beachteten Recherchen der britischen „Global Witness“ über Regenwaldabholzung in Kambodscha begann, ist inzwischen ein Thema sogar für den UN-Sicherheitsrat. Die zwielichtige Rolle des Ölmultis Shell in Nigeria; die Finanzierung von afrikanischen Bürgerkriegen durch so genannte Blutdiamanten; die Ausplünderung der Demokratischen Republik Kongo durch lokale Geschäftspartner internationaler Konzerne: All diese Kontroversen werfen die Grundsatzfrage auf, ob Geschäftsleute überhaupt in instabilen Weltgegenden arbeiten sollen – und wenn ja, unter welchen Bedingungen.

„Jeder, der in einem Konfliktgebiet am wirtschaftlichen Leben teilnimmt, kann durch Steuerzahlungen oder andere Dinge indirekt zur Finanzierung von Krieg beitragen“, fasst Marc Herman von der „Christlichen Koordination Zentralafrika“ (CCAC) in Belgien zusammen. Von daher könne business as usual nicht gelten. „Wenn man davon ausgeht, dass der Kontext eines bewaffneten Konflikts eine Ausnahmesituation ist, braucht man auch Ausnahmeregeln: besondere Überwachung der Akteure, die sich engagieren wollen; verschärfte Transparenz; und Sanktionen, wenn die Regeln nicht eingehalten werden.“

Freiwillige Transparenz

Es gibt zwei konträre Standpunkte dazu, die jeweils die Interessen der Unternehmen und die ihrer Kritiker widerspiegeln. Eine Schule setzt auf Freiwilligkeit und die Einhaltung der OECD-Richtlinien, die einen Rahmen für die Aktivitäten multinationaler Konzerne in der Globalisierung setzen (siehe Kasten); die andere setzt auf öffentlichen Druck durch Sanktionen und fordert Boykotte gegen kriegsfinanzierende Rohstoffe, größtmögliche Öffentlichkeit über Geschäftspraktiken und Druck auf Konzerne, ihr Handeln transparent zu gestalten.

„Publish What You Pay“ lautet die Parole dieser Denkrichtung, die der Milliardär George Soros vergangenen Juni in einer Kampagne zur Ölförderung in Angola lancierte. Dort verschwinden jährlich mehrere Milliarden Dollar jener Steuern und Gebühren, die die Ölkonzerne an die Regierung zahlen, in schwarzen Kassen, während der Großteil der Bevölkerung nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs im Elend lebt. Wenn die Firmen sagen müssten, wem sie wie viel Geld zahlen, könnten solche Skandale endlich aufgeklärt werden.

„In Ordnung – aber unter der Bedingung, dass die betroffenen Länder zustimmen“, sagt dazu ein Vertreter der Ölindustrie. Aber nicht nur in Angola, sondern auch zum Beispiel in Algerien, Gabun und Indonesien haben die Regierungen in ihren Konzessionsverträgen mit ausländischen Ölfirmen Klauseln eingefügt, die die Veröffentlichung der Vertragsbedingungen verbieten. Auch die Firmen selbst sind auf Transparenz nicht erpicht: sie würden höchstens ein paar Basisdaten an die Weltbank übermitteln, die diese dann vergleicht und etwaige Wettbewerbsverzerrungen aufdeckt. Kein Wunder: die Ölindustrie finanziert über die Hälfte des realen Militäretats von Indonesien, auf dem Umweg von Verträgen mit privaten Sicherheitsdiensten oder mit der Armee zum Schutz ihrer Installationen. Shell soll in den 90er-Jahren in Nigerias Ölfeldern Teile der Sicherheitskräfte bezahlt haben, die dann die lokale Bevölkerung terrorisierten; BP engagierte in Kolumbien zum Schutz ihrer Anlagen die private Sicherheitsfirma DSL, die dann auch die lokale Polizei ausbildete. Es folgten Übergriffe auf die Bevölkerung.

Schwarze Listen gegen Waffendeals

Herman vom CCAC schlägt daher zusammen mit zahlreichen anderen Gruppen vor, dass die UNO „schwarze Listen“ von Leuten und Gruppen aufstellen soll, die direkt mit bewaffneten Gruppen liiert sind oder diesen Waffen liefern. Wer mit diesen Leuten Geschäfte unterhält, soll bestraft werden. Es solle auch Zertifizierungssysteme geben, die garantieren, dass Rohstoffe nicht aus Konfliktgebieten kommen, meint er.

Modell dafür ist das Zertifizierungssystem für Diamanten, das die internationale Diamantenindustrie nach mehrjährigen Debatten Anfang November beschlossen hat. Demnach sind nur solche Diamanten legales Handelsgut, die mit einem fälschungssicheren Zertifikat der Regierung ihres Herkunftslandes ausgestattet sind – das soll Diamantenschmuggel durch Rebellen verhindern. Hier bleibt allerdings das Problem, dass Diamantenexporte von Regierungen genauso konfliktfördernd sein können wie die ihrer bewaffneten Gegner.

Was die „schwarzen Listen“ angeht, hat die UNO damit längst begonnen. Zuerst kamen 1998 die UN-Sanktionen gegen den Diamantenhandel von Angolas Unita-Rebellen, in denen die Akteure namentlich genannt wurden. Gezielte personalisierte Strafmaßnahmen wurden 2000–2001 gegen Sierra Leones Rebellen und deren Unterstützer in der Regierung Liberias verhängt. Am weitesten geht jetzt die UN-Untersuchungskommission zur Ausplünderung der natürlichen Ressourcen der Demokratischen Republik Kongo, die in ihrem Abschlussbericht von Mitte Oktober zwei Listen von lokalen Firmen und Personen aufführt, die mit Reiseverboten und Güterbeschlagnahme belegt werden sollten – bis hinauf zu hohen Militärs aus Ruanda, Uganda und Simbabwe. Gegen die internationalen Partner dieser Leute – zum Beispiel den deutschen Chemieriesen Bayer, dessen Tochtergesellschaft H.C. Starck kongolesisches Coltan angekauft hat, werden keine Strafen empfohlen – es wird nur darauf hingewiesen, dass sie sich nicht an die OECD-Richtlinien halten.

Der Bericht der Kongo-Kommission ist kontrovers, und der UN-Sicherheitsrat hat dazu noch keine Entscheidung gefällt. Die Überlegung, bestimmte Rohstoffimporte aus dem Kongo komplett zu verbieten, stößt inzwischen auf wenig Gegenliebe. Selbst die einst für ein Embargo eintretende UN-Kommission verweist inzwischen darauf, dass immense Geldtransfers in den Kongo nötig wären, um die dann zu erwartenden Einnahmeverluste des Landes und seiner Bevölkerung auszugleichen. Die Alternative, dass nur noch unter korrekten Bedingungen hergestellte oder geförderte Produkte gekauft werden, gilt hingegen auch als sehr schwer überprüfbar – dies haben Versuche gezeigt, gegen Kinderarbeit in der asiatischen Textilindustrie vorzugehen. Wenn es allerdings Regeln gibt, da sind sich alle einig, muss deren Einhaltung durchgesetzt werden können. Zwangsmaßnahmen sind schwierig, da ein Gesetzesbruch im Einzelfall kaum nachzuweisen ist. „Die moralische Empörung ist groß, das juristische Instrumentarium klein“, sagt Belgiens Außenhandelsministerin Annemie Neyts. Das zu ändern ist schwer: Die OECD-Richtlinien wurden nicht speziell für Konfliktgebiete konzipiert, und die offizielle Position der EU besteht darin, „dass man keine Nachteile für europäische Firmen im Vergleich zu den anderen schaffen darf“, wie es ein Diplomat ausdrückt. Allerdings gibt es nicht einmal europäische Antikorruptionsgesetze.

Untersuchung in Belgien

Die NGO „International Alert“ verweist darauf, dass in den USA, anders als in der EU, Gerichte sich durchaus mit Verletzungen internationaler Abkommen durch US-Firmen im Ausland befassen können und sogar Investitionsverbote aussprechen können. Lautes Nachdenken darüber im Falle der Ölindustrie im Sudan, deren Einnahmen der Regierung zur Kriegsfinanzierung dienen, brachte jüngst die kanadische Ölfirma Talisman dazu, ihre Anteile am Sudan-Ölkonsortium nach Asien zu verkaufen.

In Belgien ist die Debatte über diese Dinge am weitesten fortgeschritten. Das hat zwei Gründe: das belgische Antwerpen ist Drehscheibe des internationalen Diamantenhandels, und Belgien unterhält als einstige Kolonialmacht im Kongo wie kein anderes Land in Europa enge Beziehungen mit der Region der Großen Seen. Der belgische Senat hat, einmalig auf der Welt, vor einem Jahr eine parlamentarische Untersuchungskommission über die Ausplünderung des Kongo eingesetzt. Sie soll bis Ende 2002 berichten und hat Nichtregierungsgruppen, Geschäftsleute und Politiker angehört.

Aus Deutschland sind solche Pläne nicht bekannt, obwohl deutsche Unternehmen zum Beispiel beim Handel mit Coltan aus dem Osten des Kongo nach UN-Angaben eine führende Rolle spielen. Die belgische Kommission begab sich hingegen Anfang November sogar selbst in den Kongo, um Betroffene anzuhören – ein Vorgehen, das an die geplanten Interviews der UN-Waffeninspektoren im Irak erinnert. Allerdings verweigerte ihr die ostkongolesische Rebellenorganisation RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) die Einreise in das von ihr kontrollierte Gebiet, und in der von der Regierung gehaltenen Stadt Lubumbashi wurden Gesprächspartner der Belgier hinterher bedroht. Letztendlich sind es nicht die internationalen Konzerne, sondern deren lokale Partner, die schärferen Regeln für Investoren in Kriegsgebieten den härtesten Widerstand entgegensetzen dürften.