zoologie der sportlerarten: PROF. HIRSCH-WURZ über den Volleyballer
Sandhase mit Mumienhand
Der Homo pritschibus ist die wohl zurückgebliebenste Sportlerart aller Zeiten. Seine Wurzeln reichen weit vor den Cromagnonmenschen zurück, vor den Neandertaler, ja sogar vor den vorfahrigsten aller Vorfahren des Menschen, den Australopithecus. Für den Sport ist der Volleyballer etwa das, was für die Menschheitsgeschichte jenes kleine schüchterne Äfflein war, das seinen Baumwipfel im Dschungel verließ, munter auf die Ebene stapfte, sich auf zwei Beine erhob und danach umgehend fragte: „Was fange ich bloß mit meinen Händen an?“ Die Antwort lautete allerdings nicht: „Ich schnappe mir einfach einen Ball und knalle ihn meinem nächstbesten Mitaffen auf den Pelz.“ Auch nicht: „Vielleicht sollte ich mir erst mal ein Zigarette drehen, damit diese blöden Mammuts nicht merken, wie verlegen ich bin.“ Sondern vielmehr: „Zeit, die ersten Werkzeuge zu erfinden.“
Mit anderen Worten: Jeder Mensch, der halbwegs bei Trost ist, sucht sich, wenn es gilt, einen Ball möglichst hart und genau irgendwohin zu befördern, ein geeignetes Instrument – ein Tennisracket etwa, ein Baseball-Bat, ein Golfeisen, eine Eishockeykeule, ein Billardqueue, einen Tischtennisschläger – oder er benutzt wenigstens seinen extra zu diesem Zweck ausgebildeten Vollspann. Nicht so der Homo pritschibus. Der nimmt das ungeeignetste aller Hilfsmittel, seine eigenen ungelenken Pfoten. Und die darf er nicht mal zur Faust ballen, was ungefähr so ist, als wäre es den Kontrahenten in einem Kampf um die Schwergewichtsweltmeisterschaft im Boxen lediglich gestattet, sich Ohrfeigen zu verabreichen.
Weil Hände vergleichsweise sensible Körperteile sind, im Gegensatz etwa zum Kopf, verlängerten Rücken oder auch der Leber, sind sie beim Volleyballer ständig kaputt, weshalb er sie umwickelt und umpflastert, bis sie aussehen wie Boris Karloffs Extremitäten im alten Gruselklassiker „Mumienhände des Grauens“. Bis vor gar nicht langer Zeit wählte der Homo pritschibus dazu auch gern passende Klamotten, die um seinen mageren Körper herumschlotterten, sodass er aussah wie eine Mischung aus Lawrence von Arabien und dem unterbehosten John Cleese in „Ein Fisch namens Wanda“. Derartige Auftritte sind dem Homo pritschibus mittlerweile verboten, besonders in seiner weiblichen Variante. Kommt diese nicht mindestens im Outfit zu heiß gebadeter Baywatch-Schwimmerinnen daher, hagelt es Strafen nicht unter Punktabzug.
Der Homo pritschibus hat nämlich ein Problem: Es mag
Holger Hirsch-Wurz, 37, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.
ihm keiner zuschauen, außer in Brasilien, wo jede öffentliche Betätigung, bei der ein Ball im Spiel ist, sofort 30.000 Zuschauer anlockt. Hierzulande zeigt man dem wackeren Handarbeiter jedoch regelmäßig die kalte Schulter, sogar im Fernsehen, wo es nicht mal nennenswerte Sendeminuten gibt, wenn die schlagstärksten Baywatch-Schwimmerinnen der Welt anreisen und in Riesa oder Schwerin die Bälle prügeln. Das einzige, was herausspringt, sind großformatige Gesäßporträts im „Sportschau“-Vorspann und in einschlägigen Tageszeitungen sowie im Vorfeld einer Serie erotologischer Fotografien im Stern. Deutlicher lässt sich kaum ausdrücken, wie es mancherorts um den Homo pritschibus steht, den auch bunte Bälle, alberne Regeländerungen und verbandlich verordnete Sogutwietotalnacktheit nicht vor den Unbilden der Evolution bewahren können.
Weil er das bereits selbst gemerkt hat, haben seine ansehnlichsten Exemplare längst die Konsequenzen gezogen. „Wenn die Leute Baywatch wollen, warum geben wir ihn dann nicht richtig Baywatch?“, so die Theorie. Seither schütten sie überall, wo sie gehen und stehen, riesige Sandhaufen auf, bauen eine Tribüne drumrum, spielen brüllenden Mainstream-Rock, laden ein paar Schreihälse zwecks Animation ein, dazu ein paar brasilianische Trommler, die aber sowieso gekommen wären, und ab geht die Luzie. Damit man die braun gebrannten Muskel- und sonstigen Kurven gebührend bewundern kann, wurden die Teilnehmer pro Spiel auf ein überschaubares Quartett begrenzt und – oberwichtig – mit ultracoolen Sonnenbrillen ausgestattet. Egal, ob Bondi Beach, Copacabana, Alexanderplatz oder die Jungspießeridylle Timmendorfer Strand, die Sandhasennummer funktioniert prächtig. Selbst der Australopithecus würde, wenn er dabei sein könnte, begeistert in die Hände klatschen.
Wissenschaftliche Mitarbeit:
MATTI LIESKE
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