Die geheimen Botschaften der Barbaren

Germania incognita: Deutsche Vorfahren hatten eine Scheibe und waren deshalb verdammt clevere Burschen

Die Archäologie orientiert sich an sichtbaren Überresten der menschlichen Vergangenheit und schließt dann auf Lebensgewohnheit und Intelligenz des Verursachers dieser Überreste. So litten die Deutschen bis zuletzt unter dem Vorurteil, die Germanen seien strunzdumme Barbaren gewesen; zum Scheißen zu blöd und lediglich einer wirren Zeichensprache sowie beängstigender Grunz- und Stammellaute mächtig, wie sie heute von ihren Nachfahren Dieter Bohlen oder Edmund Stoiber zu hören sind – derart Schmähliches war bisher an der Tagesordnung.

Was müssen sich germanophobe Misanthropen gegrämt haben, als durch den Fund der „Himmelsscheibe von Nebra“ endlich der Gegenbeweis ans Licht kam: Die Ur-Germanen waren keineswegs zu blöd, sich ihrer Fäkalien zu entledigen. Das konnten sie sehr wohl! Und damit nicht genug: Einer von ihnen hat sogar einen Kupferteller mit „faulen Eiern“ bestrichen, um darauf (man ist sich noch nicht sicher) einen Herbsthimmel bei Nacht abzubilden.

Was genau sagt uns aber die „Himmelsscheibe“ über Leben und Intellekt deutscher Vorfahren? Sie beweist: Während Babylonier, Ägypter und Minoer noch an Problemen wie WC oder Pyramide schraubten, entdeckten die Germanen, dass es Sonne, Mond und Sterne gibt.

Grenzenloses Staunen. „Eine Weltsensation!“ (Bild). Bingofund! Ja, man ist verblüfft, traut den eigenen Augen nicht. Das alles sollen die damals schon gewusst haben? Woher? Und: Wie haben sie das herausgefunden? Immerhin betrug die damalige Lebenserwartung kaum mehr als 30 Jahre. Wenig Zeit also für fundierte Expertisen. Wissenschaftler stehen weltweit vor einem Rätsel. „Die Ur-Germanen trieben Astronomie“, raunt es durch die Redaktionsstuben. Derartiges Wissen setze „generationenlange Beobachtungen“ voraus, jubeln die Experten. Nur die germanophoben Miesmacher beharren, dass es sich bei der vermeintlich dargestellten Sonne lediglich um einen Mond handelt. Trotzdem, selbst wenn Wotans Ur-Astronomen die Existenz der Sonne entgangen sein sollte: Es ist und bleibt ein schöner Erfolg!

Auch die Germanenpostille Spiegel ließ sich einen Moment von der Darstellung erlittenen Unrechts nach Entwicklungshilfeversuchen der Deutschen in Osteuropa („Die Vertriebenen“) ablenken und widmete „der verschollenen Hochkultur“ eine Titelgeschichte. Stolz wird verkündet: „In Ur-Germanien lebten kleine Einsteins.“ Noch besser weiß das nur Bild und fragt schlussfolgernd: „Landeten Ufos auf dem Mittelberg?“ Archäologen sind sicher, dass die Himmelsscheibe zusätzliche Überraschungen bereit hält. Sowohl in der Anordnung der Sterne, als auch in der Oberflächenstruktur der Scheibe vermuten sie „geheime Botschaften“.

Während in Nebra weiterhin nach Relikten der germanischen Hochkultur gebuddelt wird, eröffnet im Dezember in Berlin die Ausstellung „Menschen, Zeiten, Räume“. Wissenschaftsredakteure vermuten, dass erst dann die Katze aus dem Sack gelassen wird: Wandkritzeleien, gesichtet in einer bislang geheim gehaltenen Höhle, weisen darauf hin, dass sich die Germanen bei Regen in Höhlen untergestellt haben. Also wussten sie auch: „Wenn’s regnet, wird’s nass.“ Darüberhinaus könnte es sich bei den Strichmännchenzeichnungen um den Beweis handeln, dass der einzelne Germane von weiteren Menschen neben sich wusste. Sollte sich dies bewahrheiten, muss die Geschichte, auch die jüngere, tatsächlich neu geschrieben werden.

ANDRÉ PARIS