Leben und überleben mit dem Virus

Die Neuinfektionsrate mit HIV steigt seit einigen Jahren in Deutschland nicht mehr an, die Sterberate sinkt sogar. Immer mehr Infizierte können den Virus mit einem täglichen Arzneimittelcocktail in Schach halten. Doch die Chemotherapie hat ihren Preis

von GUDRUN FISCHER

Offiziellen Zahlen zufolge sind in Deutschland etwa 50.000 Menschen HIV-positiv. Davon sind 8.000 Menschen an Aids erkrankt. Diese Zahl ist relativ niedrig und zeigt die Erfolge der Medikamenten-Kombinations-Therapie, die seit 1996 angewandt wird. Bekannt ist sie unter der Abkürzung HAART – highly activ anti retroviral therapy. „Das Wort spektakulär gefällt mir in diesem Zusammenhang aber nicht“, sagt Dietz Krisponeit, ein auf HIV spezialisierter Arzt in Bremen. Das sei ein langsamer Prozess über die letzten Jahre gewesen.

Die Neuinfektionsrate mit dem HI-Virus bleibt seit Jahren in Deutschland gleich. Sie liegt bei etwa 2.000 pro Jahr, davon sind 500 Frauen. Eine dritte Zahl, die Sterberate durch Aids, ist in den letzten Jahren hingegen erheblich gesunken. Sie liegt bei jährlich 700 Toten. Auch gesunken ist die Rate der infizierten Kinder von positiven Eltern, von 25 auf unter 2 Prozent. Besonders diese Zahl freut Krisponeit. „Die lange Überlebensrate erlaubt den Menschen, die HIV-positiv sind, wieder Pläne zu schmieden, Kinder zu bekommen, ein Studium fortzusetzen. Eine HIV-Infektion ist inzwischen eine chronische Erkrankung geworden“, erklärt er. So wie Rheumaerkrankungen oder Herzerkrankungen, wo die Überlebensraten sogar noch niedriger sind.

Eine zweite Entdeckung erleichtert das Leben von HIV-Positiven. Um die Immunlage abzuklären, wird nun nicht mehr nur die Zahl der T-4-Helferzellen im Blut bestimmt. Seit 1997 kann auch die Viruslast im Blut gemessen werden. HIV-positive Menschen sind im Allgemeinen sehr gut über ihren Gesundheitszustand informiert, berichtet die Präventionsfachkraft Brigitte Cordes im Gesundheitsamt in Bremen. „Die meisten wissen über Jahre zurück das Auf und Ab ihrer T-Helferzahlen und ihrer Viruslast. Für viele ist ja die Zahl der T-Helferzellen wie eine Sanduhr für ihre Lebenserwartung.“ Und die Lebenszeit mit guter Lebensqualität habe zugenommen, betont Brigitte Cordes. Ein wichtiger Grund für die bessere Lebensqualität ist die Abnahme der Begleiterkrankungen bei einer HIV-Infektion. Eine dieser Infektionen war die PCP-Pneumonie, eine schwere Lungenentzündung. Andere sind Tuberkulose oder Toxoplasmose. Auch die starke Abmagerung, die von Mycobakterien hervorgerufen wird, kann behandelt werden.

Das ist beim Lipodystrophie-Syndrom jedoch anders. Die abgemagerten Beine und Arme sowie die Furchen im Gesicht verschwinden auch nach veränderten Diäten nicht. Es ist noch nicht klar, ob dieses so genannte Storchenbeinsyndrom durch die Medikamente allein hervorgerufen wird. Eindeutig ist bisher nur, dass die Proteaseinhibitoren dazu beitragen.

„Das lange Überleben mit einer andauernden Medikamenteneinnahme, die fast schon einer Chemotherapie ähnelt, fordert ihren Preis“, sagt Bernd Thiede, Mitarbeiter in einer Bremer Schwuleneinrichtung mit Aids-Beratung. „Die Angst, sich als HIV-positiver Mensch zu outen, ist immer noch so groß wir früher. Das kommt bei Schwulen an zweiter Stelle nach der Angst vor dem Coming-out.“

Für die Menschen, die vom Lipodistrophie-Syndrom betroffen sind, ist besonders schwer, wenn sie ständig auf ihr verändertes Äußeres angesprochen werden. „Die Tipps aus der Umgebung, das nervt natürlich, aber die Leute können ja nicht sagen, lass mich damit in Ruhe, das wird sich auch nicht verändern.“

Brigitte Cordes und auch Bernd Thiede geben beide denselben Grund an für die immer noch gebliebene Angst der HIV-Positiven: Die HIV-Infektion hat direkt mit Sexualität zu tun. Darüber zu sprechen, sei immer noch nicht leicht.