Anziehpuppen und Schisser

Wie das sommers so ist: Nicolette Krebitz feiert in ihrem Film „Jeans“ einen Berlin-Mitte-Sommer der Liebe. Und kann sich dabei nicht zu einer augenzwinkernden Haltung durchringen

von JAKOB HESLER

Ja, Jeans kommen vor in Jeans. Ein Mal. Angie streift sich im Anziehstress welche über, versucht ganz schnell, das passende Outfit zu finden, während ihre Freunde im Lift zu ihr hochfahren – denen sie sich dann aber ganz entspannt zeigen wird, fast apathisch. Angie flutscht regelrecht hinein in die Jeans. Das passiert in diesem Film nicht einfach so, sondern mit einem satten Geräusch, das aus der flotten Musik dieser Szene herausploppt. Es hört sich an wie eine einrastende Mercedes-Tür. Oder wie das Öffnen einer Flasche Warsteiner.

Jeans ist der erste Langfilm unter Regie der Schauspielerin Nicolette Krebitz (Bandits, 1997; Regie im Kurzfilm Mon Chérie, 2001). Er rekonstruiert die Stimmung zwischen einigen jungen Erwachsenen in Berlin-Mitte im Sommer 2000. Der muss sehr schön gewesen sein; nicht weil dies oder jenes vorgefallen ist, sondern einfach so, als Gefühl. Deshalb erzählt Krebitz keine konventionelle Geschichte, sondern in einem stilistischen Patchwork von Digicam-Stimmungsbildern zwischen Schwarz-Weiß und Knallbunt, jenseits von Drehbuchregeln. Und trotz oder gerade wegen dieser Vielfalt kommt einem Jeans immer wieder vor wie ein Werbefilm, wie ein sehr avancierter allerdings, für ein unverständliches Produkt, eine Marke, eben für so ein Gefühl.

Eine Weile scheint es so, als ob Jeans mit solchen klischierten Details zugleich auch über das Lebensgefühl seiner Figuren schmunzelt, und das hieße in einem derart persönlichen Film, in dem die Schauspieler Leute mit ihren eigenen Vornamen spielen: über sich selbst schmunzeln. Sind in diesem Berlin-Film die gelegentlich eingeschobenen Ansichtskarten-Ansichten vom Alex im Sonnenuntergang ironisch? Oder soll uns das auf vertrackte Weise doch nur tiefer in das bekannte Wir-in-Berlin-Gefühl hineinziehen, markiert von ffwd-Galerie, Pogo, WMF?

Solche Fragen bleiben lange in der Schwebe. Klar ist dagegen von vorneherein der Hauptantrieb von Angie, Oschi, Marc und Coco in diesem Sommer: die Libido. Zunächst ist das völlig substanzlos und auch so gemeint und bebildert. Oschi und Marc sitzen am Café-Tisch, die Kamera saust hin und her, abstrakte Leichtigkeit à la Godard. Trotzdem bleibt die Sequenz plump: Die beiden zählen Frauennamen auf, von zwischengeschnittenen Frauenaufnahmen unterbrochen, von Gesichtern, Brüsten, Pos. Großartig dagegen eine Szene von ausgemachter sexueller Uncorrectness. Marc begleitet Coco (Nicolette Krebitz) beim Joggen. Als er nicht mithalten kann, rempelt er sie urplötzlich und sehr brutal an. Sie rempelt zurück. Bald liegen die beiden balgend und küssend auf dem Hartplatz.

Die Männer denken nur an das eine, die Frauen darüber hinaus noch ans Anziehen. Aber Oschi denkt in Wahrheit an mehr: an die große Liebe. Kommentiert von nicht zu identifizierenden weiblichen Stimmen aus dem Off. Kommentiert auch von Rainald Goetz in einer lustigen Nebenrolle als gutmütiger Freund und Psycho-Onkel Marke Dr. Sommer (aber eben auch Marke Rainald Goetz). Oschi ist nett und großäugig, mit simplen Bemerkungen schafft er Nähe. Ein „Schisser“, so er selbst (Oskar Melzer). Dauernd lernt er tolle Frauen kennen, aber dauernd schnappt sie ihm der coolere Marc buchstäblich vor der Nase weg (Marc Hosemann). So war das auch mit Coco. Aber dann trifft Oschi Nina (Jana Pallaske). Und dadurch wird Jeans schließlich doch noch aufgeladen mit Substanz, bekommt doch noch einen roten Faden, man möchte fast sagen: einen Strick.

Diese Liebe wird nicht etwa bis zum Happy End ausbuchstabiert. Sie wird vielmehr in einer letzten, in einer Stellvertreterepisode metaphysisch programmiert, wie beim Paten Tykwer, in dessen X-Verleih Jeans jetzt herauskommt. Oschi besucht ein komatöses Mädchen im Krankenhaus und liest ihr vor, mit der seelischen Kraft des Liebenden. Als er geht, erwacht sie und wandelt. Ein Augenaufschlag zur Seligkeit. Klar, was aus Oschi und Nina werden wird. Die Fragen haben sich beantwortet. Jeans meint seinen Kitsch ernst.

Premiere in Anwesenheit von Nicolette Krebitz: Mo, 2.12., 20 Uhr, Abaton; der Film startet am 5.12.