Flurfunk und Flattertazzen

Wie eine Praktikantin ihren ersten Tag in der taz-Welt erlebt hat – ein persönlicher Erfahrungsbericht

von SUSANNE LANG

Schneller Vorlauf: Ein Montag, ein Vormittag, ein Telefonat nach Berlin. Vorstellen, anmelden, die Uhrzeit absprechen. Die Leitung knackt kurz, dann ringt es. Das Freizeichen kommt sofort. „Metzger, taz“, meldet sich die Stimme prompt. Ich melde mich. „Ah ja, die neue Praktikantin. Und wann kommst du?“, fragt Reiner Metzger, Leiter des Ressorts Wirtschaft und Umwelt. Hat er gerade „du“ gesagt? Er hat. So wie eine Woche später alle „du“ sagen werden. Selbst Bascha Mika, die Chefredakteurin, wird am ersten Tag einfach Bascha sein, wenn sie sich neben Praktikanten, Redakteuren und Layoutern in der Kaffeeküche eine Tasse Tee aufbrüht.

Verboten: Springer zur Rechten, das Mode-Magazin gegenüber, der Checkpoint Charlie zur Linken: Es ist eine Woche später, ich bin da. In Berlin, im Rudi-Dutschke-Haus, bei der taz. „Die Welt aus Sicht der taz“, flimmert über meinen Bildschirm. Mein neuer Kollege Matthias zeigt mir das Redaktionssystem. Ganz einfach, ganz Linux – das ist schon das Geheimnis. Hat Fenster wie Windows, lässt sich klicken wie Windows, hat seine eigenen Macken, bloß andere als Windows. Windows spricht man nur besser nicht an. Matthias würde wohl heute noch über das „andere“ System lästern, hätte ihn nicht ein Anruf gestoppt. Eine erste Erfahrung, ein erstes „don’t“: Microsoft.

Das Straßenbild: Zwischendurch ein Blick aus dem Fenster. Ein gelber Sightseeingbus blockiert an der Ecke Kochstraße Friedrichstraße einen anderen Doppeldecker. Einmal, zweimal, dreimal hupen – es nützt nichts. Die Touristen steigen zuerst aus. Holländer, tippe ich, während ich gucke. Dazu habe ich noch viel Zeit. Die Terminlage ist entspannt an diesem Vormittag des ersten Tages, die Planung läuft an, alle Redakteure im „Öwi“-Ressort, wie „Wirtschaft und Umwelt“ intern heißt, sind da und gut gelaunt. Nur Bernhard Pötter fehlt. Ich sitze an seinem Platz. Wie er wohl ist? Habe bereits zwei Anrufe für ihn entgegengenommen. Zwei nette Stimmen, die einen Termin angekündigt haben. Ein Bild von Bernhard habe ich trotzdem nicht. Dafür spiegelt sich das Bild der taz im Fenster. Die grüne Fahne mit der roten Tazze, die auf dem Rudi-Dutschke-Haus angebracht ist, flattert in einer Fensterscheibe gegenüber.

Meinung und Diskussion: Die großen Redaktionskonferenzen sind offen für alle. Bei vielen Zeitungen ist das anders. Eine erste Überraschung am ersten Tag, genau 9.50 Uhr. Die akademischen fünf Minuten sind Kulanz bei jeder Konferenz. Eigentlich beginnt sie um 9.45 Uhr. Weil der erste Tag ein Montag ist, sind fast alle Ressorts vertreten. Eines übernimmt auch heute die Blattkritik, eines sagt, was ihm an der Ausgabe von gestern gut gefallen hat und was nicht. Meinung. Die Überschrift auf der eins gefällt, die Bildunterzeile auf der zwei ist so lala, das Brennpunkt-Thema auf der drei bekommt Kritik. Es gibt keinen Widerspruch. Diskussion? Ich wundere mich, dass sich kein angesprochenes Ressort verteidigt. Vielleicht ja später. Ich nippe an meinem Kaffee. Fair gehandelt. Ein Redakteur nimmt auch einen Schluck aus seiner Tasse, ein anderer flüstert dem Nachbarn etwas ins Ohr, eine dritte Redakteurin kommt erst jetzt in die Runde. „Machen wir die Zeitung von morgen“, sagt Bascha Mika, die die Konferenz leitet. Heute ist gestern und nur morgen ist wichtig – Zeitung macht die taz genau wie andere Zeitungen auch. Diskussion? „Schill und sein Vorgehen gegen Demonstranten machen wir auf jeden Fall“, meint eine Redakteurin von der Meinungsseite. Kommentar oder Porträt – das ist die Frage. Ein Teil befürwortet das Porträt: Rechtsaußen Schill, der eine Demo observieren wollte und dabei selbst von der Polizei gestoppt wurde, kann mit Akzent auf seiner Person kommentiert werden. „Wir hätten ein bisschen Abwechslung in der Rubrik,“ sagt eine Redakteurin. Die Diskussion beginnt. Andere wollen die Ereignisse kommentiert wissen, ohne Schwerpunkt auf der Person Schill. Das Porträt punktet. Morgen wird die Diskussion wieder beginnen. War der Text gut genug geschrieben? Hat die ungewöhnliche Form des Porträts funktioniert? Meinung und Diskussion. Am ersten Tag dauern sie lange 45 Minuten.

Zahl des Tages: 16. Sie wird mich einen Monat lang begleiten während meiner Redaktionszeit bei „Wirtschaft und Umwelt“. 16 Uhr ist meist Redaktionsschluss bei den Öwis. 16 Uhr, dann muss die letzte Zeile gekürzt sein, die letzte Überschrift getitelt, der letzte Flüchtigkeitsfehler gefunden sein. 16 Uhr, das sei journalistischer Wahnsinn, sagen andere Journalisten. Was passiert mit der Dosenpfand-Entscheidung, die kurz nach halb fünf über den Nachrichten-Agentur-Ticker läuft? Reiner sagt, sie ist morgen im Blatt. Späte Redaktionsschlüsse kosten Geld. Geld, das nicht da ist. Deshalb die 16. Aber auch mit der 16 lässt sich Freundschaft schließen.

Was macht eigentlich … die Essensmarke? Sie lässt sich verhandeln. Beate Willms sitzt mir gegenüber an ihrem Computer und beantwortet Fragen. Genau genommen eine Frage. „Was ist denn eigentlich mit den Essensmarken“, lautet sie. Beate ist Mitglied im Vorstand und müsste die Frage deshalb beantworten können. „Das ist noch nicht entschieden“, sagt sie. Einmal, zweimal, immer wieder kommen Leute und fragen. Essensmarken? Ich wundere mich, denn die taz hat keine Kantine. Marken gab es trotzdem. Bisher zumindest. Für das in der Stadt als Promi-Nobelitaliener gehandelte Restaurant „Sale e Tabacchi“, das sich im Erdgeschoss des taz-Gebäudes befindet. Schlechtes Timing für mich, denn in den ersten beiden Quartalen des Jahres gab es noch Essensmarken. Beate weiß auch keinen Rat. Gegen Nachmittag schreibt sie schließlich eine Mail an den „Flurfunk“, den internen Mailverteiler: Vielleicht im nächsten Jahr wieder.

Was fehlt: Welches Gesicht zu welchem Namen gehört, wie ich nach einer ersten Geschichte gesucht habe und meinen ersten Termin bei der montäglichen Wochenkonferenz bekommen habe – das alles gehört auch zum ersten Tag. Was fehlt, ist Platz. Mehr Platz in der taz – das wär’s.