Die wahren Erben von Viva Zwei

Weil die Campus-Sender kaum Geld haben, spielen sie an den Hit-Rotations des Mainstreams vorbei. Die Musikindustrie hat sie nun als Trendsetter entdeckt und lässt das Uni-Programm auswerten. Denn was dort ankommt, könnte zum Kult werden

von MARKUS MÜNCH

„Ohne die amerikanischen College- und Universitätsradios wäre Nirwana vielleicht nie entdeckt worden“, sagt Christian Schön, Musikredakteur des Dortmunder Uniradios elDOradio 93.0. Ein altes Beispiel – umso mehr verwundert es, dass die Musikindustrie erst jetzt beginnt, sich für die Radiosender der deutschen Unis zu interessieren.

Seit Juli wird das Musikprogramm von elDOradio und mephisto 97.6 in Leipzig automatisch von der MediaControl erfasst und für die Plattenlabel ausgewertet. Im Oktober kam das Bielefelder Uniradio Hertz 87.9 dazu, c. t. 96,9 in Bochum und das Düsseldorfer Hochschulradio werden als Nächste erfasst.

„Für uns ist das ein Riesenschritt. Es zeigt, dass die Label uns als zuverlässige Partner akzeptieren“, sagt Christian Schön. Anders als kommerzielle Sender oder öffentlich rechtliche Anstalten haben Uniradios meist kein Geld, um Musik zu kaufen. Also sind sie darauf angewiesen, von großen und kleinen Labels die neuesten Veröffentlichungen umsonst zu bekommen. Für die Plattenfirmen ist dabei das Musikformat der Uniradios besonders interessant. Das definiert zwar jeder Sender ein bisschen anders, doch die Musikredakteure in Dortmund und Leipzig verkürzen es beide auf die Formel: „Im Stil von Viva Zwei“ – nicht nur Alternatives, aber vor allem kein „Pop-Gedudel“ und keine Festlegung auf einen bestimmten Stil. Damit bedienen die Uniradios gezielt ihr Publikum und sind in der Regel „zukunftsorientierter als andere Sender“, bestätigt der Promotiondirektor von Virgin Records, Jeff van Gelder. Er hat die MediaControl-Erfassung der Unisender im Zusammenschluss der Musikverlage, dem Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, angeregt. „Sie haben viel Freiraum, und die Musik wird von musikbegeisterten Studenten gemacht.“

Da haben auch Künstler und Bands eine Chance, die nicht so recht in die gängigen Formate der Privatradios oder der Öffentlich-Rechtlichen passen, im Verkauf und bei den Kritikern aber trotzdem erfolgreich sind. Placebo zum Beispiel oder die deutsche Band The Notwist.

„Neuheiten sind bei uns ganz wichtig, wir spielen zu 70 Prozent aktuelle Musik“, sagt elDOradio-Redakteur Schön.

Knapp einhundert Radios werden von entsprechenden Geräten überwacht, ein Musikstück erkennen sie an besonders markanten Stellen, dem so genannten Fingerprint. Pro Titel und Woche zahlen die Plattenfirmen 70 Euro und wissen so ganz genau, wann und wie oft ihre Künstler im Programm waren. Der Schwerpunkt der Musikauswertung liegt im Moment in Nordrhein-Westfalen. Dort gibt es nicht nur eine hohe Dichte an Unisendern, sie arbeiten auch im Musikbereich professionell zusammen. Vor zwei Jahren haben sich fünf der mittlerweile sechs Uniradios zusammengeschlossen und präsentieren wöchentlich die „Campuscharts“.

Die Radiosendung zur Bestenliste läuft gleichzeitig bei allen teilnehmenden Sendern und hat eine einheitliche „Verpackung“: Jingles und Trailer wurden gemeinsam produziert. Für die ganz wichtigen, die „AirplayCharts“, punkten die Uniradios mit der MediaControl-Überwachung nicht. Aber die Bestätigung, die sie durch das Interesse der Branche bekommen, ist ihnen ohnehin lieber: dass sie Trendsetter sind.