Unstetes Leben auf dem Floß

Vom unsicheren Schicksal „unfreiwillig Reisender“ handelt das Stück „Menschenlandschaften“, das die aus in Hamburg lebenden Flüchtlingen bestehende Gruppe Gitanic jetzt im Monsun Theater aufgeführt hat

Vier jugendliche afghanische Flüchtlinge und ein amerikanischer Sänger: Das ist die Theatergruppe Gitanic, die der türkische Schauspieler Recai Hallac gegründet hat. Ihre erste Produktion Menschenlandschaften spielten sie am Wochenende im Monsun Theater. Als Textvorlage dienten Gedichte des türkischen Poeten Nazim Hikmet.

„Ich will nicht sterben!“ Mit diesem Satz rückt der Regisseur gleich zu Beginn das Bild von Schiffbrüchigen auf einem Floß in die Realität: „Irgendwo sind jetzt gerade Menschen in einem Laderaum auf dem Mittelmeer unterwegs.“

In dem Stück geht es um Überlebenswillen. Und um die Macht der Erinnerungen. Die vier afghanischen MitspielerInnen leben als Flüchtlinge mit unterschiedlichem Status in Hamburg. In den Texten Hikmets, der selbst lange im Exil gelebt hat, spiegeln sie ihre eigenen Schicksale. So in der Geschichte von der Mutter, die vor den Augen ihres Kindes von Soldaten verschleppt wird. Eine einheitliche Bühnensprache gibt es nicht. Deutsch, Englisch, Usbekisch und Dari wechseln sich ab.

Um das Ganze bühnentauglich zu machen, spricht Regisseur Hallac als Alter Ego die Texte aus dem Off auf Deutsch. Dafür hat er die Figur eines Seelenlesers erfunden, gespielt von dem US-Amerikaner Ray Ashby. Dessen innere Stimme will Hallac sein, was aus dem Stück heraus leider nicht deutlich wird. Der Seelenleser greift gelegentlich ins Geschehen ein, ohne die anderen sprachlich zu verstehen. Dabei sind Dialoge entstanden, bei denen die Geste zählt. So doppeln sich auch hier Realität und Spiel. Denn auch die Darsteller sind auf eine gefühlsmäßige Verstehensebene angewiesen. Hallac: „Ich habe den Beteiligten bewusst nicht übersetzt, was der andere sagt.“ Am Ende bewältigen die Figuren ihre Traumata über Erinnerungsarbeit und finden nachts wieder Schlaf.

Hallac möchte das Stück noch weiterentwickeln, zum Teil mit anderen Schauspielern. Damit bleibt das Projekt in Bewegung. Zwangsläufig, denn die Produktionsbedingungen sind vom ungesicherten Leben der Flüchtlinge bestimmt. Christian Rubinstein