„Lex Kohl“ macht Helmut Kohl nicht glücklich

Der Exkanzler droht mit Verfassungsgericht: Er will das novellierte Stasi-Akten-Gesetz kippen – „aus Prinzip“. Das Gesetz kann auf Kohl noch gar nicht angewandt werden. Erst muss Berliner Verwaltungsgericht entscheiden

Journalisten hoffen auf Erkenntnisse über die Spendenpraxisder CDU

ESSEN taz ■ „Wir werden den Streit um Helmut Kohls Stasi-Akten auf jeden Fall bis nach Karlsruhe tragen.“ Dies erklärte Kohls Essener Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner der taz. Zunächst allerdings ist noch eine andere Instanz damit befasst: Momentan dreht der Fall Kohl eine weitere Schleife vor dem Berliner Verwaltungsgericht.

Marianne Birthler hat dort eine „Abänderungsklage“ erhoben, denn ihre Stasi-Akten-Behörde darf die Kohl-Papiere weiterhin nicht herausgeben – obwohl der Bundestag in diesem Sommer das Stasi-Unterlagen-Gesetz novelliert hat. Trotzdem besteht das rechtskräftige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom März bisher fort, das die Aktenherausgabe in Sachen Kohl untersagt hat.

Und so schnell werden Wissenschaftler und Journalisten auch nicht an Kohls Stasi-Unterlagen herankommen. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts über Birthlers Abänderungsklage kann durchaus ein bis zwei Jahre auf sich warten lassen. Im kommenden Sommer dürfte immerhin der nächste Schritt anstehen: Holthoff-Pförtner erklärte, dass er dem Verwaltungsgericht dann Rechtsgutachten vorlegen werde – vom Potsdamer Rechtsprofessor Dieter Umbach sowie von Ernst Benda, einem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Ob Birthler mit eigenen Gutachten kontert, ist noch nicht entschieden.

Doch wie immer das Verwaltungsgericht urteilt: Holthoff-Pförtner strebt auf jeden Fall an, dass das Gesetz in Karlsruhe annulliert wird. Am liebsten wäre ihm natürlich, wenn das Verwaltungsgericht oder eines der nachfolgenden Instanzgerichte sich seiner Rechtsauffassung anschließen und den Fall Kohl ans Bundesverfassungsgericht überweisen würde. Doch auch wenn Kohl in allen Instanzen verliert, so kündigte sein Anwalt an, werde er am Ende Verfassungsbeschwerde erheben.

Konkret geht es um rund 7.000 Aktenseiten, in denen Helmut Kohl erwähnt wurde. Für „herausgabefähig“ hielt Marianne Birthler bisher rund 2.500 Seiten. Private Daten sollen darin nicht enthalten sein, auch keine Protokolle von Kohls Telefongesprächen. Außerdem werde geprüft, ob die Interessenten tatsächlich die Stasi-Geschichte aufarbeiten wollten. Sie dürfen nicht ausschließlich über die Spitzel-Opfer recherchieren.

Nachdrücklich betont Holthoff-Pförtner, dass Kohl keineswegs bestimmte Inhalte unterdrücken wolle, es gehe „ums Prinzip“. Da trifft er sich mit Gutachter Benda, der vor zwei Jahren in einer Fachzeitschrift ausführte: Wer früher illegal von der Staatssicherheit überwacht wurde, „sollte nicht gegen seinen Willen gezwungen werden, die Verwertung damals ausgespähten und abgelauschten Wissens zu Zwecken des innenpolitischen Kampfes zu dulden“.

Holthoff-Pförtner reicht es nicht, dass das novellierte Stasi-Unterlagen-Gesetz – die „Lex Kohl“ – vorsieht, dass der Bespitzelte zunächst Einblick in seine Akten erhalten muss. Denn auch wenn das Opfer einer Freigabe nicht zustimmt, können die Akten herausgegeben werden, wenn ein überwiegendes öffentlichen Interesse besteht.

Allerdings setzte die FDP bei der Novellierung durch, dass berücksichtigt werden muss, ob die Datengewinnung „erkennbar auf einer schweren Menschenrechtsverletzung beruhte“. Dies ist eine Einschränkung, die Kohls Anwalt nicht für ausreichend hält: „Warum muss ein Bürger dem Staat beweisen, dass Menschenrechtsverletzungen vorlagen?“, fragt Holthoff-Pförtner. Die Akten von abgehörten Stasi-Opfern sollten einfach geschlossen bleiben, dann könnten ihre Persönlichkeitsrechte auch nicht gefährdet werden.

Bisher ist Kohl allerdings der einzige Politiker, der sich juristisch gegen die Herausgabe seiner Akten wehrt. Insofern ist die Arbeit der Birthler-Behörde derzeit durch den Rechtsstreit nur sehr punktuell behindert.

Wie viele Anträge zurzeit vorliegen, die sich für die Kohl-Unterlagen interessieren, will der Birthler-Sprecher nicht sagen. Nur so viel: „Die Zahl ist sehr überschaubar“ und „die Antragsteller kommen überwiegend aus dem publizistischen Bereich.“ Das Interesse war während des CDU-Spendenskandals sprunghaft angestiegen. Manche Journalisten sahen allerdings schnell ein, dass die Akten für ihren Zweck einfach zu alt sind. „Es wäre wohl eine Sensation für sich“, so Birthlers Sprecher, „wenn die Stasi während des Leuna-Verkaufs Anfang der 90er-Jahre noch aktiv gewesen wäre.“ CHRISTIAN RATH