Sakajew sieht sich als Polit-Geisel

Moskau kritisiert die Freilassung des Tschetschenen-Sprechers in Dänemark

STOCKHOLM taz ■ Der aus der Untersuchungs- und Auslieferungshaft entlassene Tschetschenen-Sprecher Achmed Sakajew hat gestern auf einer Pressekonferenz die dänische Regierung kritisiert. Er sei wie eine politische Geisel behandelt worden, klagte er. Die Regierung habe mit seiner Festnahme „einen politischen Beschluss gefasst“. Sakajew fügte hinzu: „Ich wurde Opfer eines politischen Skandals zwischen Dänemark und Russland.“ Gleichzeitig sagte er aber, die Justiz habe ihn korrekt behandelt.

Während Justizministerin Lene Espersen jegliche politische Hintergründe bestritt, warf die linke Opposition der Regierung vor, sich zum Handlanger Moskaus gemacht zu haben. Mogens Lykketoft, designierter Vorsitzender der Sozialdemokraten, sagte: „Die Regierung wusste, dass man den falschen Mann verhaften ließ, aber sie glaubte angesichts der weltpolitischen Lage offenbar, sich dem russischen Druck beugen zu müssen.“ Das Resultat sei nun aber entgegen den Erwartungen der Regierung ein noch weitaus schlechtertes Verhältnis zwischen Kopenhagen und Moskau. Dies bestätigen erste russische Reaktionen. Dänemark stelle sich „außerhalb der globalen Kampffront gegen den Terrorismus“, kommentierte Leonid Troschin, Sprecher der russischen Generalstaatsanwaltschaft die Freilassung: Für Moskau sei die Sache keinesfalls erledigt. Lykketoft forderte die Regierung auf, sich bei Sakajew zu entschuldigen.

Die vom Justizministerium in Kopenhagen mittlerweile veröffentlichten russischen „Beweise“ werfen die Frage auf, weshalb sie auch nur annähernd für eine Festnahme und eine mehrfache Verlängerung der Untersuchungshaft als ausreichend angesehen werden konnten. Es handelt sich um „Zeugenaussagen“, die zumeist erst nach Sakajews Festnahme und durchweg nicht vor einem Richter, sondern vor Polizei oder Staatsanwaltschaft abgegeben worden sind. Sie drehen sich fast durchweg um Vorgänge im Tschetschenienkrieg zwischen 1996 und 1999, sind zeitlich, räumlich und in Bezug auf die Person Sakajew so unpräzise, dass nicht einmal klar wird, was diesem eigentlich vorgeworfen wird. Der „Beweis“, der Sakajew mit der Geiselnahme in Moskau in Verbindung bringen soll, besteht aus einem bei einer TV-Station beschlagnahmten Videoband, auf welchem ein Mann, der angeblich Sakajew ist, in einer Tarnuniform mit einer Waffe und zusammen mit anderen Soldaten zu sehen sein soll. Es ist nicht klar, wann und wo das Band aufgenommen wurde.

Trotz dieser juristisch zweifelhaften Grundlagen und dem dänischen Nein zu einer Auslieferung besteht der von Russland über Interpol verbreitete Haftbefehl fort. Sakajew kann damit praktisch in allen 182 Interpol-Mitgliedsländern erneut verhaftet werden. Denkbar wäre, dass Sakajew in einem europäischen Land einen Asylantrag stellt, auch wenn er gestern diese Möglichkeit zunächst ausschloss. Er besitzt gültige Visa für die Schweiz und Großbritannien. Aus „Sicherheitsgründen“ wollte Sakajew sich sich über seine weiteren Pläne nicht anders äußern, außer: „Ich werde meinen Kampf für den Frieden in Tschetschenien fortsetzen.“

REINHARD WOLFF