acrylamid
: Trotz Gefahr: Künast kneift

Früher hieß es „Erst gurten, dann starten!“. Im Zeitalter von Acrylamid, dem krebsverdächtigen Stoff, der Pommes frites und Knabbergebäck belastet, heißt es „Vergolden statt verkohlen!“. Die geliebten Kartoffelstäbchen dürfen also bloß nicht zu heiß gebadet werden, meint das Künast-Ministerium. Das Bonmot ist einprägsam und griffig. Es hört sich richtig gut an. Nur: Der Versuch, die Verantwortung an den Verbraucher abzugeben, während man selber kneift, ist wenig gesundheitsfördernd. Von einer grünen Verbraucherschutzministerin ist in solch einer brisanten Situation zu erwarten, dass sie endlich Ross und Reiter nennt. Das haben Künast und ihr Staatssekretär Müller auch bei ihrer gestrigen Pressekonferenz wieder versäumt.

Kommentar von MANFRED KRIENER

Was der Verbraucher hören will, ist etwa dies: „Die Kartoffelchips Marke ,Potatoe Ocean mit Paprikagewürz‘ von Lidl in Stuttgart sind mit soundsoviel Mikrogramm Acrylamid belastet, während ein ähnliches Produkt bei Edeka in Stuttgart nur ein Viertel des Giftes intus hat.“ Genau solche konkreten Messwerte zu veröffentlichen – sie liegen dem Hause Künast vor! – wäre der Job einer Behörde, die den Gesundheitsschutz der Verbraucher ernst nimmt. Es ist doch zynisch, den Essern mitzuteilen, dass etwa bei Knäckebrot die Giftwerte extrem weit auseinander gehen und von fast 0 bis zu 2.840 Mikrogramm reichen, wenn man nicht gleichzeitig ganz konkret sagt, welche Markenprodukte wie stark belastet sind. Was soll der Verbraucher sonst mit der Information anfangen? Soll der Wetterbericht künftig verkünden, dass es in Deutschland teils regnet, teils trocken bleibt?

Die Generalausrede, dass wir leider noch kein Verbraucherinformationsgesetz haben und das Ministerium deshalb mit Millionenklagen auf Schadenersatz rechnen muss, zieht nicht. Hier ist ganz konkret Gefahr im Verzug. Hier geht es um „schwerwiegende Gesundheitsgefahren“ – so das Bundesamt für Risikoforschung. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen ist der Meinung, dass die gegenwärtige Rechtslage konkrete Markeninformationen durchaus deckt.

Niemand erwartet, dass das Ministerium bestimmte Produkte als ungenießbar brandmarkt. Es soll lediglich Zahlen und Daten nennen. Stattdessen lässt man den Verbraucher beim Einkauf von Backwaren, Chips und Pommes weiter im Dunkeln tappen, um gleichzeitig aus seinem Herd eine Niedrigtemperatur-Bratstation zu machen.

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