Das stinkende Gold

Die BSR will bis spätestens 2005 die Biotonne abschaffen und hat damit den Protest von Umweltschützern auf sich gezogen. Ein Brandenburger Kompostierer hat noch viel vor mit dem Bioabfall – kompostieren, pressen und Geld verdienen

von JAN ROSENKRANZ

Das Büro von Michael Kühn ist groß wie ein Klassenzimmer. Der riesige Schreibtisch, ein langer Konferenztisch, Regale, Werbeständer und mehrere große Blumenkübel finden spielend darin Platz. „Think big“ hat Kühn mit Filzstift auf ein Flipchart geschrieben und dahinter ein großes Ausrufezeichen gemalt. Kühn ist Geschäftsführer der Firma Biopur. Die sitzt im Industriepark Ludwigsfelde südlich von Berlin und macht aus Bioabfall Pflanzgranulat. „Um gleich ein paar Vorurteile auszuräumen“, sagt Michael Kühn und schnellt vor. „Erstens: Biopur ist eine kleine Firma mit gerade mal acht Leuten. Zweitens: Ich habe nicht vor, die BSR zu übernehmen.“ Er will doch nur, dass die Berliner Stadtreinigungsbetriebe nicht einfach so die Biotonne abschaffen. Der Rest ist ein Missverständnis. Mehr nicht. Doch der Reihe nach.

Jährlich sammelt die BSR etwa 53.000 Tonnen Biogut und verteilt es an Verwertungsanlagen im Umland. Biopur kompostiert davon etwa 12.000 Tonnen plus noch einmal die doppelte Menge Laub und Grünreste aus Brandenburg und presst den Humus dann zu Pflanzgranulat, genannt „Megarolls“. Das könnte ein Riesengeschäft werden, glaubt Michael Kühn, wenn ihm jetzt nicht die BSR in die Parade fährt. „Die begreifen einfach nicht, dass aus Bioabfall Rohstoff wird. Dass man eines Tages nicht für die Entsorgung Geld zahlen muss, sondern dafür, den Abfall zu bekommen“, sagt Kühn. Biogut – das stinkende Gold.

Leider haben die Müllmänner aber nun ein neues Abfallkonzept vorgelegt, in dem die Biotonne nicht mehr vorkommt. „Noch ist nichts entschieden. Die Biotonne ist ja eher ein Randproblem bei der Neuordnung des Entsorgungskonzeptes. Am Ende wird man sehen, ob es sie weiterhin geben wird“, sagt Petra Roland, Sprecherin der Senatsverwaltung für Umwelt. Man müsse prüfen. Es gebe verschiedene Angebote.

Darunter fällt wohl auch das von Komposter Kühn. Er hat einen Brief an Umweltsenator Peter Strieder (SPD) geschrieben – „Sinngemäß: Haltet die BSR davon ab, die Biotonne abzuschaffen“, sagt Kühn. Außerdem hat er angeboten, die Biogutsammlung sonst auch in Eigenregie zu übernehmen. Sonst. Das Angebot galt nämlich a) nur zur Not, b) sowieso nur für die Außenbezirke und war c) vor allem streng vertraulich. Wie denn sonst. Aber auf einmal war es in der Welt. Mehr noch: Im Radio wurde posaunt, Biopur wolle die BSR übernehmen. Für so etwas hat Kühn gar kein Verständnis. Er ist nicht irre, sondern Geschäftsmann. Hat jahrelang Marketing gemacht bei Jacobs-Kraft-Suchard, war Geschäftsführer für die Tochter in Polen und Tschechien bevor er sich aufs Kompostieren verlegte. „Die von der BSR halten sich für die großen Manager, nur weil sie mit Millionen Gebührengeldern hantieren“, sagt Kühn, „dabei fällt denen nichts Besseres ein, als das Zeug zu verbrennen.“

Bei der BSR kann man die ganze Aufregung um die Biotonne nicht verstehen. Als sie Mitte der 90er-Jahre eingeführt wurde, gab es Angst vor Dreck und Ungeziefer. Jetzt gibt es Angst vor dem ökologischen GAU. „Wenn die Biotonne abgeschafft wird, heißt das nicht, die BSR verabschiedet sich vom Prinzip der Mülltrennung“, sagt BSR-Sprecherin Sabine Thümler. Schließlich sieht das neue Konzept vor, eine so genannte Stoffstromtrennungsanlage zu errichten, in der biologischer vom restlichen Hausmüll getrennt wird, um ihn danach in einer eigenen Anlage biologisch zu verwerten. Das muss auch sein. Ab Juni 2005 gilt eine neue Umweltverordnung, die verbietet, so genannten unbehandelten Müll auf Deponien zu lagern. Zur Zeit landet noch rund die Hälfte des Berliner Mülls – jährlich etwa 500.000 Tonnen – auf Brandenburger Deponien. In diesem Müll ist aber trotz Biotonne noch immer so viel Bioabfall enthalten, dass selbst der zur Zeit geltende Grenzwert von 60 Kilo pro Kopf und Jahr „knapp eingehalten wird“, sagt die BSR – „deutlich überschritten wird“, sagt der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Egal, erwidert die BSR. Denn ab 2005 soll es ja die Stoffstromtrennung geben. „Wenn wir diesen Müll dann schon mal in den Händen haben, um die biologischen Bestandteile abzutrennen, ist doch die Frage: Macht es Sinn, zusätzlich die Biotonne aufzustellen?“, fragt sich die BSR-Sprecherin.

Eben nicht egal, antwortet der BUND. Denn mit 273.000 Tonnen Jahreskapazität reiche die Anlage nicht aus, um die „Hälfte“ des Berliner Mülls zu trennen, sondern nur etwa ein Viertel. „Das ist uns zu wenig“, sagt BUND-Abfallexperte Michael Dahlhaus, „im Abfallwirtschaftsplan sind 75 Prozent vorgesehen“. Es gehe nicht an, dass die BSR den Rest einfach verbrennen will. Und überhaupt, so Dahlhaus: „Es ist fraglich, ob die Abschaffung der Biotonne überhaupt gesetzeskonform ist.“ Das Berliner Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sehe nämlich ein Verwertungsgebot vor. Paragraf 11, Absatz 1 regelt, dass biologische Abfälle getrennt gesammelt werden müssen, und zwar in eigens dafür bereitgestellten Sammelbehältern. Also nix mit Abschaffen. Die Biotonne darf schon von Gesetz wegen nicht sterben. Für Dahlhaus steht fest: „Wenn die BSR kein Biogut mehr will, dann muss das Land eben eine Ausschreibung machen.“

Laut offiziellem Gutachten enthält der Berliner Müll im Jahre 2005 immerhin etwa 320.000 Tonnen Bioabfälle. Ein Drittel des Gesamtmülls. Die BSR konnte bislang jährlich nur 53.000 Tonnen Biogut einsammeln. Selbst die sind wegen der hohen „Fehlwurfrate“ oft von schlechter Qualität – „trotz aufwändiger Werbemaßnahmen“, sagt die BSR. „Weil es nie richtig beworben wurde“, sagt Kompostierer Kühn. Bei Ladungen aus der Innenstadt fragt er sich oft, ob die BSR die Tonnen vertauscht hat.

Manchmal weiß Kühn gar nicht mehr, worum er sich zuerst kümmern soll. Er kämpft ja nicht nur mit der BSR. Er kämpft gegen die umweltzerstörenden Torfabstecher, Kunstgranulat-Konzerne und gegen die Großchemie. Der Markt für Pflanzsubstrate ist zwar groß, aber aufgeteilt. Er will dennoch rein. Bei Kaufland gibt es schon die Megarolls und bald auch bei Obi, in China wird damit experimentiert, und in Amerika beginnt im Frühjahr ein Testverkauf. „Think big!“ eben. Und die Sache mit der BSR? „Müll sammeln kann jeder. Ich will denen nur zeigen, dass man damit Geld verdienen kann. Eine Denksportaufgabe. Mehr nicht“, sagt Kühn und lächelt.