piwik no script img

Hartz-Gegner machen mobil

Rund 400 Menschen demonstrieren gegen die Regierungspläne zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. In der Humboldt-Uni versammeln sich rund 500 Gegner des Hartz-Konzeptes

von ANTJE LANG-LENDORFF

Die Pläne der rot-grünen Bundesregierung zur Umstrukturierung des Arbeitsmarktes stoßen in der Stadt zunehmend auf Widerstand. Rund 400 Menschen demonstrierten gestern Abend unter dem Motto „Was tun! Gegen Hartz und Co“ von Kreuzberg nach Neukölln. Mit dem Hartz-Konzept werde kein einziger Job geschaffen, sondern nur der Druck auf Arbeitslose erhöht, kritisierte eine Rednerin beim Demo-Start vor dem Arbeitsamt Mitte. Durch zunehmende Flexibilisierung und Zeitarbeit werde insgesamt das Lohnniveau gedrückt. Passend dazu startete der Umzug mit dem Song „Sklavenhändler“ der legendären Berliner Rockband „Ton Steine Scherben“.

Bereits am Abend zuvor hatten sich rund 500 Hartz-Kritiker in der Humboldt-Universität versammelt. Das Audimax war voll, die Leute standen an den Fenstern oder lehnten an der Rückseite des Saales, um bei der Diskussionsveranstaltung des Anti-Hartz-Bündnisses dabei zu sein. Zu einer kontroversen Debatte kam es gar nicht erst. Referenten wie Besucher bestätigten sich nur gegenseitig: Mit der Arbeitsmarktreform werden das Tarifsystem ausgehebelt, gesicherte Stellen durch Leiharbeit ersetzt, Erwerbslose zur Arbeit gezwungen, Frauen weiter benachteiligt.

Detlef Hensche, langjähriger Vorsitzender der IG Medien, brachte die Stimmung auf den Punkt. Der Abbau von Arbeitnehmerrechten sei nichts Neues, neu sei aber die Brutalität und Geschwindigkeit der Umsetzung. Er bezeichnete die Hartz-Kommission als einen „Tiefpunkt wissenschaftlicher Politikberatung“. Die Reform würde nicht zu neuen Arbeitsplätzen führen, sondern die Spaltung in der Gesellschaft vertiefen. Deswegen sei es nötig, gegen diese Politik aufzustehen. Das Publikum, das hauptsächlich aus linken Gewerkschaftern, Studenten und Vertreter sozialer Gruppen bestand, applaudierte heftig.

In den Arbeitnehmerverbänden brodelt es offenbar gewaltig. Obwohl Vertreter der eigenen Führung in der Hartz-Kommission vertreten waren, stehen viele Kollegen an der Basis der Reform sehr kritisch gegenüber. „Wackelt hier der Hund mit dem Schwanz oder der Schwanz mit dem Hund?“, fragte jemand aus dem Publikum provozierend. Hans Köbrich, Vertreter der IG Metall, sprach sogar von „Schizophrenie“ innerhalb des Verbands. Die Delegiertenversammlung IG Metall Berlin verabschiedete daher am vergangenen Samstag einen Beschluss, mit dem sie den Vorstand der IG Metall auffordert, „außerordentlich kritisch“ mit dem Hartz-Papier umzugehen. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beschloss auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz einen Antrag, in dem sie die Kernpunkte der Hartz-Vorschläge „entschieden ablehnt“.

Einig war man sich in der Humboldt-Uni darin, dass der Hartz-Reform bald etwas entgegengesetzt werden muss. Vorschläge für Aktionen kamen sowohl vom Podium wie aus dem Saal: Einige regten Streiks an, andere eine bundesweite Großdemonstration. Mag Wompel von der Gewerkschaftszeitung Labournet schlug vor, die Initiativen, die jetzt schon in den einzelnen Städten existieren, zu verzahnen. Zu Beginn des kommenden Jahres könne es einen bundesweiten Aktionstag geben.

Mit dabei dürfte auch Bodo Zeuner sein, Politolgieprofessor an der Freien Universität. Er hat die Veranstaltung in der Humboldt-Uni organisiert, weil er es für „völligen Unfug“ hält, dass mit der Hartz-Reform Arbeitsplätze geschaffen würden. Die Empfehlungen seien reine „Unternehmenspropaganda“ im Interessenkampf um die Verbilligung von Arbeit.

Weitere Infos: www.anti-hartz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen