Schwedens Staatsbahn ist pleite

Ein Beispiel, wie Liberalisierung in die Hosen geht: Weil der einstige Monopolist in verschiedene Teilbereiche zerschlagen wurde, die nun in gegenseitigen Wettbewerb treten, ist das Aktienkapital verbraucht. Regierung muss finanziell einspringen

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Die schwedische Bahn (SJ) schlägt derzeit einen Passagierrekord nach dem anderen. Noch nie in den letzten Jahren sind so viele Leute Bahn gefahren. Billig ist das Vergnügen nach regelmäßig zwei jährlichen Tariferhöhungen schon lange nicht mehr. Doch vor allem im Fernverkehr hat die Bahn sich zu einem attraktiven Transportmittel gemausert. Umso überraschender kam gestern die Meldung: Wir sind pleite. Das Aktienkapital ist nicht nur verbraucht, sondern alle Abschreibungen einberechnet mit 100 Millionen Kronen im Minus. Nach schwedischem Recht bedeutet dies zwingend den Gang zum Konkursgericht – eigentlich.

Doch tatsächlich kann das zu 100 Prozent im Staatseigentum stehende Unternehmen mit seinen 3.500 Angestellten natürlich nicht Pleite machen: Vater Staat soll jetzt erst mal 1 Milliarde Kronen (ca. 110 Millionen Euro) zuschießen. Und wird das auch tun. Handelsminister Leif Pagrotsky: „Der Staat lässt SJ natürlich nicht in Stich. Wir haben ja ein Eigentümerinteresse.“

SJ ist ein Opfer der Liberalisierung des Bahnverkehrs, die in Schweden – man wollte mal wieder Erster sein – mehr übers Knie gebrochen als überlegt angegangen worden war. Die einst staatliche Bahn wurde in eine Vielzahl von Einzelunternehmen zerschlagen, von denen nun jeweils das eine für die Bahnhöfe, das andere für den Unterhalt von Wagen und Lokomotiven, das dritte für den Güterzugverkehr, ein anderes für die Gleise zuständig ist. Und die ihre Dienstleistungen nun voneinander zu „Marktpreisen“ kaufen, wobei jedes für sich Gewinn machen soll. Für SJ blieb der Personenfern-, der Regional- und Nahverkehr.

In der Praxis geht diese Schreibtischkonstruktion nicht auf. Die südschwedische Provinz Schonen hat einen von der SJ perfekt betriebenen Regionalverkehr, bei dem das Unternehmen aber riesige Verluste macht. Das 1991 geschlossene Abkommen gilt immer noch und deckt schon lange die eigentlichen Kosten nicht mehr. Kein Einzelfall in der Geschichte der Liberalisierung: Auch andere Unternehmen hatten sich verrechnet, als Teile des Personenverkehrs wenigstbietend ausgeschrieben wurden. Doch waren dies Privatunternehmen, sie gingen dann eben einfach Pleite, als die Gewinne nicht wie erhofft flossen. Einspringen musste die SJ und damit Vater Staat.

Ein anderes Loch wurde bei SJ dadurch aufgerissen, dass man sparen wollte. Beim Unterhalt für Loks und Wagen, die man nun nicht mehr in Eigenregie ausführen durfte, sondern dazu die ausgegliederte Reparaturtochter „Euromaint“ beauftragen musste. Deren auf Gewinnmaximierung ausgelegte Marktpreise wollte man offenbar nicht so oft zahlen, wie es notwendig gewesen wäre. Ein Viertel des verbrauchten Aktienkapitals bezieht sich jetzt auf Abschreibungen für schrottreifes Fahrmaterial, welches nicht ausreichend unterhalten wurde.

Für die Gewerkschaft der Kommunikations- und Dienstleistungsangestellten (Seko) ist die Lehre aus dem jetzigen Desaster leicht gezogen: „Die Liberalisierung muss rereguliert werden“, so Seko-Vorsitzender Jan Rudén, „vielleicht sollte SJ das alte Verkehrsmonopol wiederbekommen.“ In einem so großen dünnbesiedelten Land wie Schweden funktioniere nichts anderes, „die Infrastruktur kostet eben und dazu ist der Staat da, bei Bahn, Post oder Telefon“.