Renaissance der Konfusion

„Wie schön wohnt die Zukunft?“ In der „1. Trendstudie“ des „Stilwerk“ wird die Wohnungsdeko zum „Persönlichkeitsviagra“ erhoben und die Stile der Vergangenheit zur „Perfect Past“ verklärt

„Zeig mir, wie du wohnst, und ich sage dir, ob ich dich lieb haben kann“

von THOMAS PAUL

Die guten alten Werte sind offensichtlich wieder in: Sparsames Wirtschaften im Alltag und formale Einfachheit im Wohnumfeld. Doch trotz Parallelen weisen die Trends zur Lebensart und im Wohnbereich unterschiedliche Ausrichtungen auf. Während der im Spiegel erschienene Essay der jungen Schriftstellerin Juli Zeh, aus dem das „Gregor-Prinzip“ inzwischen in aller Munde ist, die neue Sparsamkeit würdigt, stellt die „1. Trendstudie“ des „Stilwerk“ die zukünftige Erwartungshaltung zum Wohnumfeld vor.

Beide stellen das Lustprinzip in den Mittelpunkt: Zeh bemerkt, dass die Leute nach Börsencrash und Pleitewellen Spaß am Sparen haben; Trendscout Peter Wippermann, mit dem Trendbüro Verfasser der „Stilwerk“-Studie, liefert mit „Wohnen ist Mood-Management“ indes die schon eine angenehme Antwort vorwegnehmende Frage „Wie schön wohnt die Zukunft?“

Die Unvereinbarkeit dieser zwei verschiedenen Konsumeinschätzungen ist ohne Umschweife festzustellen, denn die sich als „Institute des guten Geschmacks“ bezeichnenden „Stilwerke“ widmen sich dem Verkauf von tendenziell hochpreisigen Wohnutensilien, nicht dem Sparen. Vermutlich war sogar die verhaltene Freizügigkeit potenzieller Kunden in Gelddingen nach Einführung des Euros der Anlass, die Trendforscher zu beauftragen. Die machen schon pflichtschuldig mit den vier Kapitelüberschriften klar, dass schnöde Repräsentation keine Chance hat: Mit „Privacy“, „Soziotainment“, „Optionismus“ und „Simplicity“ werden andere Qualitäten angesprochen, nämlich Individualität, anregende Gemeinschaft, Freiheit, und das alles bitte sehr unangestrengt – die Welt ist schon fordernd genug. Die Trends gehen in Richtung Emotionaliät und Selbstausdruck, woraus der Forscher auf „Stilwelten zum Lümmeln, Lieben, Landen und Loslassen“ schließt.

In diesen Umfeldern würde sich auch die von Zeh ausgemachte Spezies wohlfühlen. Denn anstelle des Gregor-Prinzips („Ich will eine goldene Kreditkarte mit meinem Namen darauf und einen Porsche 911 mit einer blonden Frau darin“), also dem Geld als Medium der Wertschätzung, sind immaterielle Bestätigungen getreten, etwa dass die eigene Arbeit gut war und anderen weitergeholfen hat.

Anders liest sich das in der „Stilwerk“-Trendstudie: Die persönliche Anerkennung soll demnach in der eigenen Wohnung und insbesondere durch ihre Ausstattung erfolgen. Um „via Einrichtungsstil zu amüsieren und aufzufallen“, zeigen die Abbildungen in der Studie folgerichtig kommunikationsfreudige Sitzlandschaften. Schließlich leben die „Stilwerke“ vom Wechsel des Mobiliars. Laut Wippermann ist das der Platz für die „Community of Choice“, mit der ein flexibler Verbund von Singles gemeint ist. Kein Familienersatz, sondern ein freundschaftliches und persönlich förderndes Netzwerk. Unterhaltung wird aber nicht nur durch vermeintliche geeignete Konfiguration von Menschen angeboten, sondern darüber hinaus durch inszenierte Erinnerung und Selbstdarstellung. „Perfect Past“, die modische Verdrehung des Begriffs aus der englischen Grammatik, soll die Türen zu Epochen öffnen, die kollektiv wiedererlebt werden können. Es ist eine Fußnote der Gegenwart, dass das besonders gut funktioniert, „wenn keiner der Anwesenden die zitierte Epoche bewusst erlebt hat“. Hier ist Wippermann unbedingt zuzustimmen: Das zeigen nicht nur die Renaissance der Stile, sondern auch die Debatten um seit Jahrzehnten verschwundene städtische Gebäude, wie etwa das Beispiel des Berliner Stadtschlosses. „Die kondensierte Vergangenheit ist sympathischer als die konfuse Gegenwart“, heißt es dazu in der Trendstudie.

In eine ähnliche Richtung zielt das Postulat der „Wohnung als Persönlichkeitsviagra“, das wohl suggerieren soll, der eigene Ausdruck sei so käuflich ist wie immerwährende Potenz. Schon in dem Satz „Zeig mir, wie du wohnst, und ich sage dir, ob ich dich lieb haben kann“ ist ein Subtext enthalten, gemäß dem der nach Liebe sehnende Mensch weniger seine unmittelbare Persönlichkeit als vielmehr durch seine Wohnungseinrichtung zu entsprechender Gesellschaft verhilft.

Eine Erkenntnis Juli Zehs lautet „Wir sparen nicht, wir geben bloß kein Geld aus“, was sein geistiges Äquivalent in dem Kapitel „Simplicity“ findet. Hier kommt Wippermann auf den Stress, den der Kunde durch eine unnötige Stilvielfalt ausgesetzt ist. Was er braucht, sei Orientierung durch Vertrauen und vor allem durch Einfachheit. „Weg mit dem Alltagsballast“. Stattdessen kommt das bewährte Simple und Beständige daher, allerdings meist nicht gerade besonders preiswert. Dumm gelaufen.

Wie in der taz unlängst bemerkt wurde, hat das Bewahren ohnehin etwas Kämpferisches: „Es geht jetzt darum, dass Erreichte zu verteidigen.“ Diesen entscheidenden Aspekt hat die Trendstudie zwangsläufig ausgeblendet. Stattdessen werden in ihr Bilder verbreitet, die vielleicht einen soliden Bankrotteur zum Geldausgeben verleiten, das Gros der nunmehr arbeitslosen Internetarchitekten, Bankmanager, Werbedesigner herzlich wenig interessieren wird. Hier gehen die Schlussfolgerungen in eine falsche Richtung und genau an der Zielgruppe vorbei, denn die will Spaß, aber nicht durch kostspielige Einrichtungsbilder.

Schade, dass durchaus richtige Feststellungen der Trendstudie in das oberflächliche Angebot von Images mündet. Die werden nämlich nur geschätzt, solange sie stets gewechselt werden können. In den Zeiten von Zehs Sparsamkeitstraktaten könnte sich anstelle der hektischen Jagd auf irgendwelche Images ein Grundsatz bewähren, den ich nach einem Kollegen das „Dietmar-Prinzip“ nenne: „Den Fluss der potenziellen Begehrlichkeiten an sich vorbeirauschen lassen und erst im richtigen Augenblick zugreifen. Frosch oder Prinz, das zeigt sich ohnehin erst später, doch hat man ihn ohne Anstrengung.“