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„Neugier auf das Fremde wecken“

Seit 1995 gibt es „Le Monde diplomatique“ – auch als Beilage der taz. Marie Luise Knott über Internationalismus heute

taz: Frau Knott, seit wann gibt es überhaupt Le Monde diplomatique?

Marie Luise Knott: 1954, nach dem großen Debakel der französischen Armee im vietnamesischen Dien Bien Phu, gründete Hubert Beuve-Méry, Herausgeber der Tageszeitung Le Monde, eine Monatszeitung: Le Monde diplomatique. Ziel dieser Publikation war es, die national verengte Perspektive der französischen Diplomatie, die an ihrer Kolonialherrlichkeit festzuhalten schien, um eine neue supranationale Dimension zu erweitern. Der Aufmacher der ersten Nummer lautete: „Alte und neue Diplomatie“. Die hatten sogar Anzeigen von Cartier, Dior oder Bulgari. Die deutsche Ausgabe gibt es seit 1995.

Was ist die Idee von Le Monde diplomatique?

Le Monde diplomatique wollte von Beginn an den eigenen Kulturkreis verlassen, die Welt nicht nur durch die französische Brille wahrnehmen. Nicht von ungefähr schreiben bei uns Autoren aus aller Welt Originalbeiträge. So entsteht eine Vielfalt an Sicht- und Schreibweisen. Im Übrigen ist „der Diplo“ als Monatszeitschrift auch ein Ort der formalen journalistischen Vielfalt ohne strenge Ressorteinteilung. So wechseln sich Reportagen, Analysen, Essays und wissenschaftliche Abhandlungen in unsortierter Folge ab: Eine Reportage über die Privatisierung des Wassers in Brasilien folgt etwa auf einen Essay von Jacques Derrida über Adorno und die Differenz. Getreu seinem „Gründungsauftrag“ begleitete der Diplo den Prozess der Entkolonialisierung und richtet auch heute den Blick immer wieder auf Probleme und in Regionen, die im Abseits des Weltgeschehens liegen.

In den letzten sieben Jahren wurden diverse fremdsprachige Ausgaben des Diplo gegründet: in Athen, Ankara, Madrid, Rom, Lissabon, London, Mexiko und Chile. Wie erklären Sie das globale Interesse?

Der Zusammenbruch der New Economy und die unkontrollierbaren Folgen anonymer Entscheidungen auf den internationalen Finanzmärkten haben in allen Schichten und Gesellschaften die Einsicht gefördert, dass wir die Glaubenssätze der vergangenen zehn Jahre überdenken müssen. Bei uns finden sich schon seit langem viele Anstöße und viel Material zum Um- und Weiterdenken: Hintergrundanalysen, Reportagen, Karten und theoretische Debatten, die den Prozess der Globalisierung kritisch beleuchten, ethnische Konflikte und Auseinandersetzungen in aller Herren Länder ebenso analysieren wie die unaufhaltsame multikulturelle Ausprägung unserer europäischen Länder. Und natürlich liegt – nicht erst seit dem 11. September – ein besonderes Augenmerk auf Entwicklungen in den USA.

Kommen alle Artikel im Diplo aus Paris – ist die deutsche Ausgabe eine einfache Übersetzung?

Nein. Seit 1995, dem Start der deutschsprachigen Ausgabe, übernehmen wir die meisten Texte natürlich aus der französischen Ausgabe, deren Qualitäten wir dem deutschen Publikum zugänglich machen wollen. Es gibt ja viele Themen, über die bei uns niemand je so ausführlich und informiert schreiben darf – die Lage in Afrika etwa.

Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass unser Publikum eigene Gewohnheiten und Erwartungen hat. Ausführliche Texte über die französische Rentenpolitik übersetzen wir deshalb nur ausnahmsweise. Und Texte über deutsche Themen übernehmen wir oft nicht, weil wir damit meist nichts Neues bieten würden. Es gibt auch Themen, die werden hier anders diskutiert als in Frankreich, zum Beispiel Umweltfragen. Und natürlich gibt es Themen, die uns brennender interessieren: Derzeit etwa haben wir eine Serie, in der wir die einzelnen EU-Beitrittskandidatenländer porträtieren.

Auch die Bebilderung ist anders, was ursprünglich damit zusammenhing, dass Abdruckrechte nur im nationalen Rahmen einholbar waren. Jedes Land hat offensichtlich seine eigenen Lese- und Sehgewohnheiten. In der französischen Zeitungslandschaft wäre unser Konzept, in jeder Ausgabe einen zeitgenössischen Künstler vorzustellen, befremdend. In Deutschland, Luxemburg und der Schweiz hingegen wird es goutiert: Die Kunstwerke werden als eigenständige Beiträge zum Kulturgeschehen wahrgenommen.

Die meisten Leser unserer Zeitung kennen Le Monde diplomatique als Beilage der taz, der Züricher Wochenzeitung oder des Luxemburger Tageblatts. Doch mittlerweile haben wir knapp 10.000 Abonnenten bzw. Kioskkäufer. Auch wenn wir – im Unterschied zur französischen Redaktion von Le Monde diplomatique – keine Verbindung zu Attac unterhalten, ist die Entwicklung in der Welt, die gemeinhin Globalisierung genannt wird, für uns ein absolut zentrales Thema.

Sie haben richtig Erfolg: Interessante Autoren wie Jean Baudrillard, Pierre Bourdieu, Michael Ignatieff, Jens Reich oder Jacques Derrida und ständig steigende Abonnementszahlen. Wie geht es weiter?

Wir hoffen, dass es sich immer weiter herumspricht, dass man bei uns mit Informationen und Positionen aus aller Herren Länder konfrontiert wird. Also auch als Autor in einen Dialog eintreten kann, der ja in diesen globalisierten Zeiten eine intellektuell, kulturell und zivilisatorisch notwendige Herausforderung ist. Was unsere ökonomischen Ziele betrifft, so hofften wir 1996, binnen zehn Jahren auf 5.000 separate Abonnements zu kommen. Das haben wir längst geschafft. Jetzt haben wir uns 15.000 vorgenommen, was kühn ist in diesen Zeiten des Zeitungssterbens.

Sind Produkte wie der „Atlas zur Globalisierung“ ein neues Betätigungsfeld der Redaktion?

Der Atlas der Globalisierung bündelt Kenntnisse und Materialien, die von der Diplo-Redaktion über Jahre hinweg akkumuliert wurden. Natürlich gibt es neben der Globalisierungsdebatte weitere Bereiche, für die entsprechende Produkte vorstellbar sind. Wenn wir dabei die Neugier auf das – vielfach angstbesetzte – Fremde wecken können, sind wir glücklich.

Marie Luise Knott ist Herausgeberin der deutschsprachigen Le Monde diplomatique.

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