Ein Tag auf Schalke: zum Glühweinen

Arktische Temperaturen in der Gelsenkirchener Arena erzeugten in manchem Zuschauer das Bedürfnis, ein anderes Spiel zu sehen als das mäßig herzerwärmende 1:1 zwischen Schalke 04 und Werder Bremen

Der kluge Fußballfan organisiert sich einen absehbar frostigen Samstagnachmittag gemeinhin mit Weitsicht. Ab 15 Uhr läuft das Radio, schadenfroh lacht man über die Idioten, die sich in die Staus Richtung Fußballstadion stellen, positioniert punktgenau um 15.30 Uhr den Popo bequem auf dem Kanapee, schwenkt fortan je nach Radio-O-Ton begeistert oder verärgert den Vereinsschal und lacht am Ende schadenfroh über jene inzwischen halberfrorenen Idioten, die sich nach 17.15 Uhr in die Staus Richtung Heimat stellen.

Der weniger kluge Fan hingegen – also ich – steigt gegen 15 Uhr aus dem Pkw, hält das Gesicht in einen eisigen Polarwind, der vom Schalker Stadion her über den Parkplatz fegt, und reiht sich sofort ein in die von der Kälte verstummten Menschenschlangen, die vor Wurst- und Glühweinständen nach Wärme, Geborgenheit und Sinn für ihr sinnloses Tun an diesem frostigen Samstagnachmittag suchen. Endlich an der Reihe, presse ich ein zittriges “Glü-Glü-Glü-Glühwein, bitte!“ über die Lippen, was die Verkäuferin offenbar als Sammelbestellung interpretiert und mir gleich vier dampfende Gläser serviert. Dankbar schütte ich die Brühe in mich hinein, die Körpertemperatur steigt wieder in den zweistelligen Bereich, was mir erlaubt, die 500 Meter Fußweg bis zum Stadion in überschaubare drei Glühweinstand-Etappen einzuteilen.

Endlich im Stadion, schwanke ich auf die Pressetribüne, frage einen Arena-Angestellten nach Platz 2 im Block 12 und werde zu einer blau gefärbten Klapp-Eisscholle geführt, die mir der Angestellte als komfortablen Arbeitsplatz für die nächsten 90 Minuten schön redet. Kaum auf Sitz 2 fest gefroren, fällt mein Blick auf den riesigen Videowürfel unter der Stadiondecke, auf der eine ziemlich unangezogene Schönheit mich dazu animieren will, in der Halbzeitpause Langnese-Eis zu essen. Ehe ich einschlafe, nehme ich mir noch fest vor, jedem Langneseverkäufer, dem ich in der Halbzeitpause begegne, mit meinen bereits arschkalten Arsch ins Gesicht zu springen.

Ein gewaltiger Lärm reißt mich aus dem Schlaf. „Runter mit die schwatte Sau!“, brüllen hunderttausend blau gekleidete Damen und Herrn um mich herum und beschimpfen Schiedsrichter Fröhlich fortan als „blinde Nuss“. Gern würde ich mich der kollektiven Raserei anschließen, allerdings kann ich mich nicht entscheiden, welcher der beiden Fröhlichs unten auf dem Rasen eigentlich gemeint ist. Überhaupt scheint mir in der just erst erbauten Schalker Arena alles anders als in den üblichen Fußballstadien: Zwei Schiedsrichter, vier Linienrichter, vier Tore und gleich vierundvierzig Spieler zähle ich auf den beiden verschwommenen Spielfeldern unter mir. Ratsuchend wende ich den glasigen Blick auf den Videowürfel, wo mir ein riesenhaftes „00:00“ entgegen leuchtet. Warum zum Teufel wurden die Toiletten nur unter die Hallendecke verlegt?

Ich erbitte Aufklärung von den beiden für die BILD-Zeitung arbeitenden Zwillingen neben mir. Doch die schauen mich nur ratlos an, offenbar weil ich Sätze mit mehr als drei Wörtern in zu kleiner Schriftgröße bilde. „Das ist doch alles surreal!“, brülle ich, springe auf und bahne mir dalli dalli den Weg zur Schalker Trainerbank. Frank Neubarth wartet dort schon auf mich. Ich spüre, von meinem nächsten Satz hängt das Schicksal dieses Spiels ab. „Otze, mach et!“, rufe ich ihm die magische Formel zu. Neubarth dreht sich zur Bank, verhandelt kurz mit dem Schalker Manager Assauer und nickt mir zu: Er macht et, jubelte ich.

Die Einwechslung des Schalker Vorstands Jürgen Möllemann fünf Minuten vor dem Abpfiff kam vermutlich für viele überraschend, aber der Neo-Rechtsaußen rechtfertigt das in ihn gesetzte Vertrauen. Schalke siegt 18:0, was Bremens Trainer Schaaf dazu veranlasst, auf der Pressekonferenz die Aufstellung von Willi Lemke für das nächste Spiel anzukündigen.

Der Arena-Angestellte weckt mich unsanft. „Kannst gehen, das Spiel ist aus“, sagt er zu mir. Schlaftrunken frage ich nach dem Resultat. „1:1“, brummt er missmutig. „War eher ein lausiges Spiel.“ Details entnehmen Sie bitte der Leibesübungen-Seite der taz (S. 18). Franco Zotta