Das perfekte Chaos

Für die sprachliche Integration von MigrantInnen sind flexible Angebote notwendig. Das neue Sprachförderkonzept hingegen ist bürokratisch und selektiv. Es baut ein Zweiklassensystem auf. Ein Ausblick ins neue „Jahrzehnt der Integration“

Das gesplittete Sprachförderkonzept des Bundes ist überholungsbedürftig

von VERONIKA KABIS

Am 2. Januar soll es anlaufen, das Großprojekt Sprachförderung für Zuwanderer. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg, das mit der Durchführung und Koordinierung der Sprach- und Orientierungskurse betraut ist, gibt sich optimistisch, dass bis dahin alle Unklarheiten beseitigt sind. Die Träger von Sprachkursen, die Fachverbände und Kommunalbehörden hingegen stehen Kopf. Auch wenn inzwischen, reichlich spät, die Ausschreibungen für die Kursträger erfolgt sind, bleiben zahlreiche Fragen ungelöst.

Schon in den Pilotprojekten, die der Sprachverband Deutsch e. V. in Mainz gemeinsam mit ausgewählten Trägern von Deutschkursen durchführte, zeigte sich, dass die vorgesehenen 600 Unterrichtsstunden plus 30 Stunden Orientierungskurs pro Teilnehmer vermutlich nicht ausreichen werden, um für Arbeit und Ausbildung zu qualifizieren. Auch Alphabetisierung, Kinderbetreuung und sozialpädagogische Begleitung können mit den geplanten Geldern nicht ausreichend gesichert werden.

Die Kommunalverwaltungen ihrerseits sehen rot, weil es ihnen, abgesehen von den neuen Formularen, vor allem an Personal mangelt, das die Zulassungsberechtigung der Kursteilnehmer prüfen soll. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat deshalb wiederholt gefordert, das In-Kraft-Treten des Integrationspakets um mindestens ein halbes Jahr zu verschieben.

Die hehren Worte von der Integrationsoffensive vermögen bei den in der Migrationsarbeit Tätigen ohnehin nicht so recht zu überzeugen. Die Einwanderungsrealität hat sie gelehrt, dass mit rigiden Programmen keine Integration zu betreiben ist.

Die Sprachkursanbieter müssen sich darauf einrichten, wegen der vorgeschriebenen Differenzierungen nach Leistungsniveau fast alle Kursstufen inklusive Abschlussprüfungen anbieten zu müssen. Diese wird man dann wiederum nicht alle durchführen können, wenn die Mindestgruppengröße, bei der sich der Sprachkurs überhaupt rechnet, nicht erreicht wird. Die Finanz- und Personalplanung wird damit völlig unsicher.

Der Verein „Baris“ in Völklingen, einer mittelgroßen saarländischen Stadt mit hohem Migrantenanteil, steht für hunderte von gemeinwesenorientierten Projekten und Migrantenorganisationen, die bislang Deutschkurse anbieten konnten. Für den Völklinger Verein steht nun fest, dass er 2003 aus der Sprachförderung aussteigen wird.

Die Entscheidung fiel Ekkehart Rothhaar und seinen KollegInnen von Baris nicht leicht, doch sie hatten keine andere Wahl. In ihren Augen sind die Richtlinien für kleine Träger kaum erfüllbar. Gerade ihnen werde es nicht gelingen, mehrere Kurse mit unterschiedlichem Lernniveau bereitzuhalten und zu füllen. Außerdem sei das finanzielle Risiko bei der erst nachträglich erfolgenden Kostenerstattung für einen kleinen Anbieter nicht tragbar.

Besonders aber wehrt sich der Verein gegen die Zumutung, Kursabbrecher der Ausländerbehörde melden zu müssen, die dann entsprechende Sanktionen prüft. Worin diese tatsächlich bestehen können, ist übrigens noch unklar: Die Drohung, Zuwanderern bei Verstoß gegen ihre Teilnahmepflicht die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen, ist wohl eher nur eine Drohgebärde.

In jedem Fall aber wird die Mitteilungspflicht an die Ausländerbehörden mit einem Vertrauensverlust bei MigrantInnen gerade gegenüber denjenigen Kursträgern einhergehen, die bislang eine entscheidende Rolle bei der Integration gespielt haben. Denn ein Deutschkurs bei einem Gemeinwesenprojekt ist eben mehr als nur ein Sprachkurs: Er führt oftmals zur ersten Kontaktaufnahme, an die sich dann Beratungsgespräche oder die Teilnahme an einer Frauengruppe anschließen können.

Der Völklinger Verein wird, wie viele andere auch, künftig nach „kreativen Lösungen“ suchen müssen, um noch Sprachkurse anbieten zu können.

Schon jetzt ist übrigens abzusehen, dass Kurse aus dem neuen Programm mangels Masse nicht zustande kommen werden. Dies liegt nicht etwa am Desinteresse der Zuwanderer, sondern am Geist der Integrationspolitik, der hinter dem neuen Förderkonzept steht.

Künftig verläuft die Trennlinie entlang dem Kriterium Neuzuwanderer mit dauerhaftem Aufenthalt oder „Bestandsausländer“. Letztere – sie werden auch künftig die größte Gruppe unter den Integrationsbedürftigen bilden – haben keinen Rechtsanspruch auf die Kurse.

Ein Zweiklassensystem also, das nicht nur dem Anspruch, jahrzehntelange Integrationsversäumnisse aufzuholen, widerspricht, sondern auch an der Realität der Einwanderungsgesellschaft gnadenlos vorbeigeht. Hinter vorgehaltener Hand wird allerdings gemunkelt, dass die Kurse zumindest in der Startphase durch ebenjene „Bestandsausländer“ gezielt aufgefüllt werden sollen, um einen peinlichen Fehlstart des Programms mangels Teilnehmern zu vermeiden.

Gerhard Fiedler, Geschäftsführer des Sprachverbandes, findet diese Entwicklung Besorgnis erregend. Gerade sein Verband hatte in den 30 Jahren seiner Tätigkeit Wert darauf gelegt, die Deutschkurse an den Verhältnissen vor Ort zu orientieren und ein vielfältiges Spektrum von Kursträgern einzubeziehen.

Er selbst hatte immer wieder den Finger auf die Wunde gelegt und darauf hingewiesen, dass das gesplittete Sprachförderkonzept des Bundes überholungsbedürftig sei – lange bevor die Rede vom Zuwanderungsgesetz war. Doch die Fachkompetenz des Sprachverbandes, der auch für die Weiterbildung der Lehrkräfte, die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und didaktischen Konzepten sorgte, scheint nicht mehr gefragt zu sein.

Mit der Übertragung der Zuständigkeit auf das BAMF sind die Tage des Sprachverbandes gezählt, Ende September 2003 wird die Förderung durch den Bund eingestellt. Wie das BAMF künftig für Qualitätssicherung sorgen wird? „Aus einer abzubauenden Schreibkraft aus dem Asylbereich wird natürlich nicht so schnell ein Integrationsberater“, bekennt man dort selbstkritisch. Man werde aber am eigenen Sachverstand arbeiten, notfalls würden externe Berater hinzugezogen.

Was aber passiert im Januar, wenn das Bundesverfassungsgericht das Zuwanderungsgesetz vorher stoppt? „Diese Frage ist schwierig zu beantworten“, heißt es ausweichend beim BAMF. Eines ist sicher: Dann wird das Chaos perfekt.