Richter prüfen Wirksamkeit von Cannabis

Erstmals konnte ein Schwerkranker, der Marihuana als Medizin verwendet, seine Verurteilung erfolgreich anfechten. Jetzt muss er nachweisen, dass mit anderen Medikamenten keine Heilungschancen bestanden

BERLIN taz ■ Der Richterspruch ist eine kleine Sensation. Ein 42-jähriger Frührentner, der im April dieses Jahres von einem Berliner Amtsgericht wegen unerlaubten Anbaus und Besitzes von Cannabis zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, hatte mit seiner Revision Erfolg. Das Kammergericht hat das Urteil gegen ihn jetzt aufgehoben und an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen. Sollte der Frührentner im nächsten Verfahren freigesprochen werden, das im kommenden Frühjahr erwartet wird, dann wäre das ein großer Erfolg für alle Kranken, die mit Cannabis ihre Schmerzen lindern.

Der Berliner Michael G. leidet seit 1981 an Morbus Crohn, einer chronischen, in Schüben verlaufenden Erkankung des Verdauungstraktes, deren Ursache ungeklärt ist. Seit neun Jahren ist er Frührentner. Nachdem Behandlungen mit hohen Dosen Cortison und Antibiotika die blutigen Durchfälle, den rapiden Gewichtsverlust, die Abszesse am After und die Krämpfe bis zum Erbrechen nicht lindern konnten, stieß er 1996 auf Cannabis als Medizin.

Beschwerden gelindert

Er hatte einen Artikel über dessen positive Wirkung bei Morbus Crohn gelesen und ein Arzt hatte ihm zu einem Versuch geraten. Durch Marihuana-Zigaretten und Sitzbäder aus Cannabissud konnte er seine Beschwerden wesentlich lindern. 1997 begann er aus Kostengründen, Cannabis in seiner Wohnung anzubauen. Im Mai 2000 informierte ein Nachbar wegen eines „süßlichen Geruchs“ die Feuerwehr. Die Polizei beschlagnahmte 59 Cannabispflanzen, und Michael G. musste sich wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln vor Gericht verantworten.

Sein Anwalt Sven Lindemann geht davon aus, dass in der nächsten Verhandlung die Krankengeschichte seines Mandanten im Mittelpunkt steht und Ärzte als Zeugen gehört werden. „Wenn Ärzte sagen, dass mit anderen Medikamenten keine Heilungschancen bestehen, dann muss er freigesprochen werden.“ Andererseits weiß auch er: „Ein Freispruch wäre eine Sensation.“

Das Kammergericht begründet die Zulassung der Revision unter anderem damit, dass man von Michael G. zu Beginn der Selbstmedikation nicht verlangen konnte, sich um eine Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel zu bemühen. „Eine Privatperson kann zur eigenen Heilbehandlung mit einer Ausnahmebewilligung ohnehin nicht rechnen, da die Erlaubnis stets im öffentlichen Interesse liegen muss.“ Michael G. hatte im Februar vorigen Jahres einen solchen Antrag gestellt. Er wurde erwartungsgemäß abgelehnt.

Konsum gerechtfertigt

Der Frührentner wird keine Schwierigkeiten haben, dem Gericht zu beweisen, dass nur Cannabis seine Leiden lindert. In dem Attest eines Arztes, bei dem er seit elf Jahren in Behandlung ist und der „eine wesentliche Besserung der Beschwerdesymptomatik“ nach der Behandlung mit Cannabis festgestellt hat, heißt es: „Aus ärztlicher Sicht halte ich in Abwägung von Risiko und Nutzen einen therapeutisch genutzten Cannabiskonsum des Patienten für gerechtfertigt.“

Ein Chirurg, der Michael G. dreimal wegen Abszessen im Analbereich operiert hat, hat seit den Cannabis-Sitzbädern „keine wesentliche Komplikation“ mehr festgestellt. Ein dritter Arzt bescheinigt, dass Michael G. durch den Einsatz von Cannabis „nahezu symptomfrei“ sei. Und: „Herr G. verwendet Cannabis eindeutig als Therapeutikum in niedriger Dosierung. Sein therapeutischer Erfolg ist gerade in Kenntnis der langen Vorgeschichte eindeutig.“ Eine „bewusste Entkriminalisierung“ durch einen Richterspruch werde den Weg zu einem Einsatz im Rahmen kontrollierter Studien vereinfachen.

B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA