Wie die Rose im Asphalt

Die „Stadtteilgruppe Tenever“ bereitet ihre 100. Sitzung vor. Demokratie wird hier riesengroß geschrieben: Ein Quartier zieht sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf und das mit Erfolg

Hochhäuser, Armut, Jugendkriminalität, ein hoher Anteil von Zuwanderern – Tenever ist das, was man einen sozialen Brennpunkt nennt, die Vorurteile gegen den Stadtteil im Bremer Osten lauten entsprechend.

Dazu gilt er als Musterbeispiel für die Großstadtarchitektur der 70er Jahre, die sich weniger um die Lebensbedürfnisse von Menschen kümmerte als darum, schnell und großflächig Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wie die Rose im Asphalt hat sich hier ein soziales Netzwerk entwickelt, das den Stadtteil vom schlechten Ruf der Hochhaussiedlung befreien will.

Was zunächst auf Initiative des Bau- und Sozialressorts in Form einer Arbeitsgruppe für die „Nachbesserung in Tenever“ angedacht war, entwickelte sich unter der aktiven Teilnahme der Bewohner zu einem wichtigen Entscheidungs- und Koordinationsgremium. Unter dem Namen „Stadtteilgruppe Tenever“, die seit 1989 existiert, findet am 22. Dezember nun die hundertste Sitzung einer Projektgruppe statt, die sich aus Vertretern der öffentlichen Verwaltung, Politik, Wohnungsbaugesellschaften, sozialen Einrichtungen, Gewerbetreibenden und Bürgern zusammensetzt. Die Teilnehmerzahl der öffentlichen Sitzungen schwankt je nach Anlass – immer aber geht es dabei hochdemokratisch zu. Wenn hier also über Projekte wie das Einrichten einer Kinder-Samba-Gruppe, Qualifizierungsmöglichkeiten für Migrantinnen oder über die Vergabe von Mitteln zur Stadtsanierung debattiert wird, haben alle Teilnehmer das Recht, mit ihrer Stimme ein Projekt in die Wege zu leiten oder zu blockieren. „Da entscheiden die Bewohner doch tatsächlich mit und nicht nur proforma!“, freut sich Projektleiter Wolfgang Plessow.

Das taten sie auch, als die Sparkassenfiliale in Tenever in eine reine Automatenfiliale umgewandelt werden sollte. „Viele Sozialhilfeempfänger besitzen nur Sparbücher, so dass sie die Automaten gar nicht nutzen können. Und zwei Drittel der Menschen sprechen Deutsch nicht als Muttersprache. Für diese und behinderte Menschen ist es fast ausgeschlossen, mit den Automaten umzugehen“, argumentierten die Bewohner. Fazit: Die Filiale wurde nicht geschlossen, anders als in vielen anderen Stadtteilen.

Die Gelder, mit denen in Tenever gerechnet wird, stammen aus zwei Töpfen: „Wohnen in Nachbarschaft – Stadtteile für die Zukunft etwickeln (WiN)“ vom Bremer Senat und aus dem Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ . 270.000 Euro kommen jährlich zusammen, die für 170 realisierte Projekte in den letzten elf Jahren verwendet wurden.

Wie ernsthaft den Teilnehmern die konstruktive Auseinandersetzung ist, spiegelt sich auch in der Gestaltung der Jubiläumssitzung wider. Am 11. Dezember soll ausschließlich inhaltlich diskutiert werden. Einziger Tagesordnungspunkt ist die Beurteilung, Bewertung und Nachfrage zu rund 50 neu eingereichten Projektideen. Dass diese Debatte dennoch abendfüllend sein wird, liegt an den Ideen selbst.

So ist etwa für 2003 die Renovierung des Mütterzentrums, eine neue Sporthalle oder das interkulturelle „Café Mosaik“ geplant. 100.000 Euro fehlen allerdings noch, um sämtliche Vorhaben umsetzen zu können.

Was letztlich bedeutet, dass im Konsens entschieden werden muss, was vorrangig ist, wo gespart werden kann oder ob gar ein Teilvorgriff auf das Budget von 2004 vorgenommen werden soll. Wichtigstes Ziel: Kein Projekt soll ernsthaft gefährdet werden. Jörg Fischer