Nervenkitzel statt Soundgeriesel

Dudelfunkgeschädigte dürfen wieder hoffen: Mit dem Mini-Festival „Hörzu – Zeichen und Wunder“ balsamiert das Junge Theater ihre Wunden – und senkt wohltuende Düsternis in die Ohrmuscheln seiner Zuschauer

Es stimmt, was David Bowie über das Radio sagte: früher war es anstrengend, gute Musik zu finden; heute ist es schwer, gar keine Musik zu hören. Noch schlimmer sei es mit guten Hörspielen geworden, finden Carsten Werner und Sonja Vogt vom Jungen Theater Bremen. Dank ihrer Initiative dürfen Zu-viel-Schlechte-Musik-Geschädigte wieder hoffen: Die beiden haben ein Programm erstellt, das dem Hör-Sinn gewidmet ist. Hörzu heißt das Mini-Festival. Es startete am Sonntag mit Christian Wolz aus Berlin. Mit „HIV+2“ nähert der sich einem Thema, dass nur noch einmal im Jahr in den Medien auftaucht: am Welt-Aids-Tag.

Mittelpunkt der einstündigen Performance bildet ein Interview, das Wolz 2001 mit sieben schwulen Männern geführt hat. Sie schildern, wie sich ihr Leben seit der Infektion verändert hat. Dazu, im Hintergrund, Fotografien, mit zum Teil von der Krankheit gezeichneten Gesichtern: Ein Crash-Kurs über das Leben mit dem Virus.

Auf einer zweiten Ebene löst Wolz diese dokumentierte Wirklichkeit auf. In einem nicht endenden Kreis schreitet er um die Leinwand und macht das nicht Sichtbare hörbar. Wie sieht das Leben mit der Krankheit aus? Angst als schriller Singsang, Bedrohung als pulsierender Bass: Der Virus steckt in Wolzens Gesang. Millionen winziger Aliens kreisen durch den Raum und in den Hörsinn der Besucher. Einziges Instrument ist dabei die Stimme, die sich aus einem Schrei in vielschichtige Choräle steigert. Walz wird zum Schamanen. Doch er versinkt nicht in Agonie, sondern fragt nach: Mit dem Tod endet die Krankheit, mit der Suche nach dem Warum „HIV+2“.

Ein düsterer Auftakt, dessen Grundton die Reihe zunächst treu bleibt: Unheimliche „Zeichen und Wunder“ – so der Untertitel des Festivals – wird heute wohl auch die Leseperformance von Bachmann-Preisträger Michael Lentz setzen. Weiter auf dem Programm stehen der Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“, den das Bremer Duo Oddjob begleitet und – viel versprechend –„Pestilentia im Ohr“ von Ohrpilot aus Münster: Auf Matratzen lagert das Publikum in einer gemütlichen Lounge und lässt sich von Hörspiel, Theater und Konzert akustisch berieseln. Hannes Krug

Nächste Aufführungen: Muttersterben von Michael Lentz, heute; Panzerkreuzer Potemkin, 11. Dezember, sowie Pestilenzia im Ohr,12. und 13. Dezember, jeweils 20.30 Uhr, im Jungen Theater, Güterbahnhof, Tor 48