Eine 100.000-Euro-Rechnung für den Kanzler

Der eine schickt das letzte Hemd, Peter Kees den Mahnbescheid. Seine künstlerische Ich-AG rechnet mit der Politik ab

Drei Leuchtkästen mit den schwarzen Buchstaben „ICH AG“ und „Leben lohnt sich“ hält der Künstler Peter Kees für seine neue Ausstellung bereit. Ein grauer Schreibtisch, ein Telefon und ein Computer sollen außerdem in der Schaufenster des kleinen Raums mit Blick auf den Wasserturm in Prenzlauer Berg ab dem 14. Dezember stehen. Beim ersten Blick ist das Material der „Arbeitsgalerie“ etwas dünn. Doch weniger kann auch mehr sein. Das ist der Fall bei Peter Kees, weil die Aktion clever ist, die mit seiner Ausstellung zusammenhängt. Ende Oktober hat er als ICH AG Rechnungen an einige Prominente von Wirtschaft und Politik geschickt. In seiner „Arbeitsgalerie“ in der Belforter Straße will er nun Mahnungen und weitere Rechnungen schreiben.

Dem Bundeskanzler Gerhard Schröder stellte der in Bayreuth Geborene seine eigene Lebenszeit als Mensch mit einem Euro pro Tag in Rechnung – seine Aktivitäten als „Demokrat“ und seine künstlerische „Aufwertung der BRD“ jeweils mit 250 und 1.000 Euro. Summa sumarum wurden es glatt 89.523 Euro, inklusive Mehrwertsteuer. Bisher ignorierte der Kanzler die Forderung.

Hingegen reagierte die Deutsche Bahn belustigt auf das Schreiben von Kees. Für Lebenszeit- und Spontanitätsverlust stellte die ICH AG dem Bahn-Chef Hartmut Mehdorn 95.671 Euro in Rechnung. Der Brief sei 100-mal im Betrieb kopiert und verteilt worden, habe der begeisterte Mitarbeiter telefonisch berichtet. Es sei ein fröhlicher Lichtblick im grauen Alltag gewesen. Er konnte jedoch keinen einzigen Cent in Aussicht stellen.

Auch die Berliner Senatskanzlei antwortete – sogar schriftlich. Ein Mitarbeiter teilte mit, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hätte Kees’ Schreiben „amüsiert gelesen“. Wegen der „finanziellen Zwänge“ bedaure er allerdings, „den geforderten Betrag nicht zur Verfügung stellen zu können“. Der Senatsbrief soll an der Wand der „Arbeitsgalerie“ aufgehängt werden. Scherzhaft empfiehlt Wowereits Mitarbeiter, die „nach dem Aktiengesetz obliegenden Pflichten“ bei der Gründung der Ich-AG gut zu beachten.

Das Feedback macht Peter Kees zwar glücklich. Aber es reicht ihm nicht: „Ich bin keine Witz-AG, sondern eine Ich-AG. Ich meine das ernst.“ Wenn mehrere Mahnungen nicht ausreichen, überlegt er schon, wie er einen Gerichtsvollzieher zu seinen Schuldnern schicken könnte. Darüber hinaus fordert er andere Menschen auf, persönliche Ich-AGs zu gründen und Rechnungen für ihre Leistungen zu stellen. „Die ICH AG Peter Kees berät hierzu gerne“, steht in seiner Vorstellungsmappe.

„Ich führe die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche durch meine künstlerischen Mittel extrem weiter“, sagt der 36-Jährige, der schon als Casting-Director für Bavaria Film München und als Intendant des Theaters Reutlingen tätig war. Indem er die politische Realität inszeniert, will er eine künstlerische Verfremdung erreichen, die zum Nachdenken bringt. „Wenn ich die Realität zitiere und sie aus ihrem Kontext herausholfe, bekommt sie eine ästhetische Komponente.“ Etwa wie Joseph Beuys gehe es ihm auch darum, den Kunstbegriff zu brechen. Kunst betrachtet Peter Kees als eine Möglichkeit, sich politisch einzumischen. Schließlich sei auch seine Ironie ein Trick, um zu zeigen, dass der Reichtum eines Menschen „nicht von der Höhe der Zahlen auf seinem Bankkonto“ abhängig sei. Der Reichtum liege im Alltag und in der Fähigkeit, staunen zu können, sei es nur über die kleinen Dinge auf der Straße.

Mit Schlagwörtern wie Antikapitalist oder Globalisierungskritiker will er sich ungern bezeichnen lassen. Trotzdem fragt er, warum die Wirtschaft unbedingt ständig weiterwachsen müsste – und träumt von einem ständig wachsenden Stapel von Rechnungen, der langsam Kies in die Mühlen der Wirtschaft wirft und sie zum Wandel zwingt.

GENEVIÈVE HESSE

Die Arbeitsgalerie von Peter Kees, Belforter Straße 9, ist freitags von 15 bis 20 Uhr geöffnet. Seine neue Ausstellung wird am 14. Dezember eröffnet.