Keine grünen Überflieger

Pazifismus? Der Grünen-Spitze genügte ein juristischer Hinweis: „Das Grundgesetz steht vor den Bündnisverpflichtungen“

Der Grünen-Beschluss gilt für den Fall, dass die USA ohne UN-Mandat angreifen

von LUKAS WALLRAFF

Angelika Beer wusste, was auf sie zukommt. Jedenfalls keine Zeit zum Ausschnaufen und Einarbeiten. „Die hundert Tage, die man einem sonst zugesteht, werden wir nicht haben“, sagte die 45-Jährige gestern früh im ersten Radiointerview als Grünen-Chefin. Zusammen mit ihrem neuen Kompagnon Reinhard Bütikofer versuchte Beer dann den ganzen Tag über den Eindruck zu erwecken, als sei eigentlich alles ganz normal. Als wären die beiden nicht gerade erst auf dem Parteitag in Hannover nach einer Nacht-und-Nebel-Abwahl ihrer Vorgänger ins Amt gekommen. Als wären sie nicht mit einem negativen Presse-Echo gestartet, wie es neue Chefs einer Regierungspartei selten erlebten.

Was stand da nicht alles zu lesen. Die Grünen hätten „die eigene Führung demontiert“ (Welt), ihre bisherigen Chefs Claudia Roth und Fritz Kuhn „verstoßen“ (Handelsblatt), nun müssten sie „mit neuer Spitze, aber stark geschwächt“ (SZ) arbeiten. Doch von Schwäche und Aufregung war bei Beer und Bütikofer gestern nichts zu spüren. Von Aufbruchstimmung allerdings noch weniger. Routiniert und geschäftsmäßig absolvierte das neue grüne Führungsduo seinen ersten Auftritt vor der Berliner Presse. Auch Bütikofer, der am Sonntagabend bei „Christiansen“ noch sichtlich überrascht und müde wirkte, hatte offenbar inzwischen ein paar Stunden Schlaf gefunden. Nur der schicke Dreiteiler, den er statt der gewohnten Schlabbersakkos angelegt hatte, schien noch ein bisschen eng. Umso lockerer versuchte Bütikofer die Fragen nach einer deutschen (Nicht-)Beteiligung an einem Irakkrieg zu parieren. Die neue Grünen-Spitze trete ihren Job nicht an, um zu „prüfen, wo der nächste Punkt ist, an dem man die Koalition platzen lässt“. Die inhaltlichen Antworten zu Krieg und Frieden überließ er vorsichtshalber der Kollegin Beer. Die kennt sich schließlich damit aus, war sie doch bis zum September verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.

Für die neuen Parteichefs traf es sich günstig, dass sie an ihre bisherigen Tätigkeiten anknüpfen können. So erklärte Bütikofer ausführlich das formale Procedere der Urabstimmung zur Trennung von Amt und Mandat – und für ein paar Minuten glaubte man wieder den Bundesgeschäftsführer zu hören. Auch Beer hat keine Probleme, über ihr Fachgebiet zu reden. „Fuchs“-Panzer und -Raketen kann sie auseinander halten. Ihre neue Rolle ist jedoch heikel.

Schon beim Kosovokrieg 1999 und beim Antiterroreinsatz der Bundeswehr hatten Parteilinke Beer vorgeworfen, zu schnell auf die Linie von Außenminister Joschka Fischer eingeschwenkt zu sein und eine deutsche Kriegsbeteiligung befürwortet zu haben. Ihre Nichtnominierung für den Bundestag auf der schleswig-holsteinischen Landesliste führte Beer selbst auch auf ihre Beziehung mit einem Bundeswehroffizier zurück. Nun soll ausgerechnet sie den Pazifismus der Grünen (oder was davon übrig geblieben ist) hochhalten.

Im Wirbel um die Neuwahl der Grünen-Spitze war ein wenig untergegangen, dass sich der Parteitag auf eine klare Linie festgelegt hat. „Keine völkerrechtswidrige Unterstützung eines militärischen Alleingangs der USA und Großbritanniens gegen Irak“, ist der Beschluss des Parteitags überschrieben. Darin enthalten: eine Verweigerung der Überflugrechte und der Nutzung von Flugplätzen auf deutschem Boden. Ebenfalls ausgeschlossen: der Einsatz deutscher Soldaten in Awacs-Aufklärungsflugzeugen. Dieser Beschluss gilt für den Fall, dass die USA ohne UN-Mandat angreifen. „Das Grundgesetz steht vor den Bündnisverpflichtungen“, betonte Beer, obwohl SPD-Generalsekretär Olaf Scholz das Gegenteil vertrat. Was aber passiert, wenn die USA ein UN-Mandat erhalten? Dann habe Deutschland „nicht das Recht“, Überflugrechte zu verwehren, so Beer. Ob man dann sogar Awacs-Aufklärer zur Verfügung stellen könne, sei nicht juristisch, sondern „politisch zu entscheiden“.

Wie groß der Einfluss der neuen Chefs auf diese Entscheidungen wird, muss sich erst zeigen. Bisher machten sie nur klar, dass sie sich an Parteitagsbeschlüsse halten wollen. Eine pazifistische Überfliegerin wird Beer auch im neuen Amt gewiss nicht werden.