Der Deal ist ein Honigschlecken

von KENO VERSECK

Die Normen muss László Somogyi schon kennen. Zum Beispiel wissen, inwieweit und ab wann die Richtlinie 2001/100/EG die Bestimmungen des Beschlusses 74/409/EWG außer Kraft setzt, und wo wiederum noch strengere Regelungen in der Verordnung BGBl. I, 1976, Seite 3391 mit der Ergänzung vom 7. Juli 1998 enthalten sind. Natürlich, im Falle der Letzteren die Definition aus Anhang I, Punkt 1 auswendig daherbeten zu können, wäre überflüssig. Aber anhand der Begriffe Waben-, Tropf-, Schleuder-, Press-, Scheiben-, Back- und Industriehonig lassen sich Angebot und Nachfrage überhaupt erst richtig einschätzen. László Somogyi sagt: „Der Honigmarkt ist ein kleiner und einfacher Markt.“

László Somogyi, 42, ist eigentlich „Osthandelsexperte“, genau wie seine Schwester Katalin Fischer, 55, gemeinsam betreiben sie in Budapest die Firma Somafis. Somogyi zeigt auf ein Regal in einer Ecke des Büros der Handelsfirma, die er mit seiner Schwester in Budapest betreibt. „Irgendwo da liegt ein kleiner Stapel Papiere mit allem, was ich wissen muss. Ein sehr übersichtlicher Markt.“ Übersichtlich jedenfalls verglichen mit den komplizierten Überkreuzgeschäften wie sie im Handel innerhalb Osteuropas üblich sind (siehe taz vom Montag).

Somogyi hat guten Kontakt zu ungarischen Imkern. Seine Firma lieferte schon vor Jahren ungarischen Honig zu Abnehmern in Syrien, Kuwait und den Libanon. In diesem Jahr gelang Somafis zum ersten Mal der Sprung auf den westeuropäischen Honigmarkt: Seit September schickt die Außenhandelsfirma alle 14 Tage zwei Sattelschlepper-Ladungen mit Akazienhonig an die Langnese Honig KG in Bargteheide bei Hamburg.

Bei dem Geschäft half auch der Zufall nach. „Ungarischer Honig, den wir anbieten, entspricht meistens der Norm der deutschen Honigverordnung, die die strengsten Bestimmungen aller EU-Länder hat“, erklärt László Somogyi. „Weil er diese Qualität hat, ist er auch relativ teuer. Deshalb war es nie einfach, ihn zu verkaufen. Aber dieses Jahr hatten wir eine gute Marktlage.“

Wegen des schlechten Wetters in vielen Teilen Europas fiel die diesjährige Honigproduktion unter das Vorjahresniveau. Nicht nur deshalb stieg die Nachfrage und damit der Preis, den Aufkäufer bereit waren zu zahlen. Die Europäische Union hat Honigimporte aus China, neben Mexiko und Argentinien einer der größten und billigsten Honigproduzenten der Welt, seit Jahresanfang verboten. Denn chinesischer Honig entspricht nicht den Qualitätsanforderungen der EU-Honigrichtlinie.

Noch einen weiteren Geschäftsvorteil gibt es dieses Jahr für László Somogyi und Katalin Fischer: Seit 1. Juni erhebt die Europäische Union keinen Zoll mehr auf Honig. Auch die Begrenzung der Liefermenge beim ungarischen Honigexport in die EU fiel weg. Ein Ergebnis des 1991 zwischen der EU und Ungarn abgeschlossenen Assoziierungsvertrages, durch den Zölle und Mengenbegrenzungen schrittweise gesenkt werden.

„Die Honiglieferungen nach Deutschland könnten eine längerfristige Sache werden“, sagt László Somogyi. „Dort wird ja öfter Honig aus Ungarn eingekauft. In England versuche ich auch gerade ein Geschäft zu organisieren, das ist allerdings schwieriger, weil die Engländer viel Honig außerhalb Europas einkaufen, zum Beispiel aus Argentinien.“

Vor zehn Jahren, erinnert sich László Somogyi, habe er sich oft gewünscht, nur noch Geschäfte mit Firmen im Westen zu machen. Der Osten war grau, schwierig, unorganisiert, der Westen reicher, bunter, organisierter, mondäner. Eben einfach besser. Und Ungarn war auf dem Weg nach Westen. Als erstes unter den osteuropäischen Ländern. Heute schmunzelt Somogyi über seine Vorstellung von damals. Auch Katalin Fischer lächelt. Sie hat 15 Jahre mehr Erfahrung im Außenhandel als er. „Ungarn hat ja vor 1989 viele staatliche Außenhandelsgeschäfte im Namen von privaten westlichen Firmen abgewickelt“, erzählt sie. „Für mich war der Westen deshalb schon lange vor 1989 nichts Neues. Nur als ich die ersten Male zu Geschäftstreffen im Westen war, Anfang der 70er-Jahre, als junge Frau, da wusste ich manchmal nicht, was ich anziehen sollte oder wie ich welche Gabel in einem superexklusiven Restaurant bedienen musste.“ Sie lacht. „Ich habe es schnell gelernt.“

László Somogyi ist spätestens seit dem ersten Betrugsfall, den er mit westlichen Geschäftspartnern erlebte, „Realist“. Für eine österreichische Firma übernahm Somafis 1995 eine Fleischlieferung nach Russland und finanzierte das gesamte Geschäft vor. Als Sicherheit für Somafis diente, wie üblich im Außenhandel, ein Akkreditiv, ein Bürgschaftskredit, den die österreichische Firma eröffnet hatte, und zwar, so Somogyi, bei einer „Schweizer Bank mit erstklassigem Ruf“. Nachdem das Geschäft abgewickelt war, verschwanden die beiden österreichischen Firmeninhaber mit dem Gewinn. Die Schweizer Bank teilte Somafis lapidar mit, das Akkreditiv sei ungültig. Für László Somogyi und Katalin Fischer war es ein Schock. „Wir sind im Außenhandel damit aufgewachsen, dass das gegebene Wort oberstes Gesetz ist.“

Einen zweijährigen Prozess gegen die österreichische Firma und die Bank aus der Schweiz verlor Somafis. „Der Betrug hat uns eine riesige Summe Geld gekostet, umgerechnet mehrere hunderttausend Euro“, sagt Somogyi. „Tja, seitdem sind wir extrem vorsichtig geworden.“ Es klingt enttäuscht, wenn er sagt: „Heute wollen viele schnell das große Geld machen und sofort den teuersten Wagen fahren.“

László Somogyi fährt keinen teuren Wagen und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen im 11. Stock einer Budapester Neubausiedlung, nicht weit entfernt von seinem Büro. Sie ist weder groß noch luxuriös eingerichtet. „Wir haben hier alles dicht dabei, Supermarkt, Schule, Spielplatz, und es ist ruhig“, sagt Somogyi. „Ein eigenes Haus? Ja, vielleicht irgendwann.“ Er zwinkert mit den Augen. „Viel wichtiger ist zweimal Urlaub im Jahr mit der Familie, einmal am Meer, einmal zum Skifahren.“

Weniger Probleme als mit manchen Partnern aus dem Westen hatten László Somogyi und Katalin Fischer damit, sich auf EU-Normen einzustellen. Es sei eher viel Kleinarbeit gewesen, sagen die beiden Geschwister: Sie mussten sich in Vorschriften zu Warenqualität, Verfallsdaten und Verpackungen einarbeiten, Handelsverträge und Rechnungen nach internationalen Standards gestalten, Warencodes und -dokumentationen erstellen, damit bei Reklamationen der Weg vom Käufer über den Lieferanten zum Hersteller zurückverfolgt werden kann, und Änderungen bei Exportpapieren und in der Buchhaltung vornehmen.

„Die Annährung Ungarns an die EU war eine sehr positive Sache“, sagt Somogyi, so als sei Ungarn längst EU-Mitglied. „Vor allem die Warenqualität hat sich seit Anfang der 90er-Jahre verbessert. Inzwischen gibt es fast keine ungarischen Nahrungsmittel mehr, die nicht EU-Standards entsprechen. Das Problem liegt eher in der Konkurrenz zwischen den ungarischen und den EU-Anbietern. Der Agrarsektor ist in Ungarn kaum subventioniert worden, und die Produktionskosten sind viel höher als in der EU. Wenn hier fünf, sechs Leute an einer Sache arbeiten, dann machen dieselbe Arbeit in der EU nur zwei Leute. Ich fürchte, die Modernisierung, die wir dabei brauchen, wird nicht so einfach sein, wie sich den EU-Normen anzupassen.“

Für einen EU-Experten hält sich László Somogyi noch nicht. Um das zu werden, will er im nächsten Jahr ein zwei- oder dreijähriges Fernstudium an einer ungarischen Universität beginnen. Wenn László Somogyi die Ausbildung abgeschlossen hat, will er Beratung in EU-Fragen als Dienstleistung anbieten.

Im Honiggeschäft zumindest hat Somogyi seine EU-Kenntnisse perfektioniert. Er kennt nicht nur die Normen, sondern weiß auch, wie EU-weit geliefert werden muss: in rostfreien 200-Liter-Stahlbehältern mit Tekla-H-104-Emballagenbeschichtung auf der Innenseite. Aha. „Ein lebensmittelechter Lack“, sagt er.

Horst Rettiek sitzt an seinem Schreibtisch in Bargteheide und ist zufrieden mit „den Ungarn“. Er arbeitet als Einkaufsleiter bei der Langnese Honig KG. Nur noch aus Ungarn kauft die Firma größere Mengen Honig, andere osteuropäische Länder wie Russland oder Rumänien können die geforderte Qualität nicht liefern. „Naajaa“, sagt Horst Rettiek in breitem Norddeutsch, „dat dauert, bis die ungarischen Imker auch alle die richtige Labortechnik haben. Aber wenn mal eine Lieferung nicht so is, wie dat sein soll, dann müssen sie die eben zurücknehmen.“