die schweiz – kommunistisch? von JOACHIM SCHULZ
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Was ist bloß mit unseren jugendlichen Mitgeschöpfen los? Sie hüllen sich in Che-Guevara-Shirts, hopsen auf Partys zu dem Gekrächze Janis Joplins übers Tanzparkett und lassen sich akkurate Bienenkorbfrisuren à la Jimi Hendrix wachsen. Werden wir uns also darauf gefasst machen müssen, dass sich schon bald wieder gewaltige Demonstrationszüge durch unsere Städte wälzen, die Herbert Marcuse zum Bundeskanzler machen wollen?

Ich sag’s Ihnen offen: Ich glaube nicht, dass wir das müssen, denn allem Anschein nach ist unsere Jugend viel zu zerbrechlich gebaut, um sich auf Konfrontationen dieses Kalibers einlassen zu können. Damit Sie verstehen, was ich meine, bitte ich Sie, mir in ein Abteil der Bundesbahn zu folgen, in dem sich außer mir eine junge Frau befindet, auf deren T-Shirt ein großer roter Stern prangt. Der Stern wiederum erstaunt einen weiteren Passagier, der nun das Abteil betritt. Es ist ein junger Russe, der die Sternträgerin sogleich in leicht gebrochenem Deutsch anspricht: „Ah“, sagt er, „bist du deutsche Kommunistin?“ Sie, indigniert: „Was?“ – „Roter Stern! Du bist deutsche Kommunistin!“ Er strahlt, als habe er ein Stück Heimat gefunden. Sie aber bleibt einsilbig: „Ich bin aus der Schweiz.“ Er strahlt weiter. „Ah, Schweizer Kommunistin!“ – „Nein!“, faucht sie unwirsch: „Das ist Mode! Verstehst du? Mode!“ – „Mode?“ wiederholt er verblüfft: „In der Schweiz? Ist die Schweiz kommunistisch?“ Doch diese Frage bleibt unbeantwortet, da die junge Dame sich von dieser ungewollten Kommunikation offenbar derart überstrapaziert sieht, dass sie nur noch wortlos ihre Jacke schnappt und aus dem Abteil hinausstürmt.

Ein Einzelfall ist das freilich nicht, wie Sie sehen werden, wenn Sie mich nunmehr auf eine Party begleiten, auf der ich mich mit meiner alten Freundin Gina befinde. Ins Spiel kommt wiederum eine junge Dame, und auch sie trägt ein T-Shirt, das sich allerdings nicht durch einen Stern auszeichnet, sondern dadurch, dass es den Nabel nicht bedeckt und damit den Blick freigibt auf einen Bauch, der auf eine nicht besonders kalorienbewusste Ernährung schließen lässt. Das geht Gina und mich selbstverständlich nichts an. Urplötzlich aber hören wir die Nabelfreie – die Parole „Trau keinem über 30“ variierend – lautstark verkünden, dass sie jeden über 30 eklig finde, und das führt dazu, dass Gina umgehend zu ihr hinüberstampft und ihr zu verstehen gibt, dass sie erst mal ihren Speckbauch bedecken möge, bevor sie derartige Albernheiten von sich gebe. Versteht sich, dass ich jetzt damit rechne, meine alte Freundin vor einer Attacke mit gefährlich zugespitzten Fingernägeln retten zu müssen. Statt sich jedoch mit Gebrüll auf Gina zu stürzen, bricht die junge Dame schlagartig in Tränen aus, um dann in Richtung Toilette davonzustürzen und damit hoffentlich auch den letzten besorgten Leser davon zu überzeugen, dass unsere Jugend eher kollektiv vor Aufregung in Ohnmacht fiele, bevor sie sich erdreistete, kämpferisch gegen die Verkehrsregeln zu verstoßen und eine Hauptstraße mit einer Protestversammlung zu blockieren.