Auf dem Spiel steht Indiens Staatsidee

Die Wahl in Gujarat könnte das Einfallstor für einen Hindu-Talibanismus werden, der den säkularen Staat ablöst

AHMEDABAD taz ■ Selten hat eine Provinzwahl in Indien so viel Aufmerksamkeit erregt wie die heutige im westlichsten Bundesstaat Gujarat an der Grenze zu Pakistan. Rund 33 Millionen Wähler können, so sehen es viele Inder, eine Entscheidung treffen über die Weiterexistenz einer pluralistischen Gesellschaft – oder den Rückfall in einen Hindu-Talibanismus, in dem sich die Minderheiten einer religiös artikulierten Staatskultur unterwerfen müssen. Anlass für diese Angst ist das Verhalten der lokalen BJP-Regierung seit den Massakern vom Frühjahr. Chefminister Narendra Modi wird vorgeworfen, die Ausschreitungen, denen insgesamt rund 2.000 Menschen zum Opfer fielen, nicht nur geplant und ferngesteuert zu haben, sondern danach auch nichts getan zu haben, um die traumatisierte muslimische Minderheit wieder Vertrauen in den Staat fassen zu lassen.

Modis Wahlkampf war ein Beispiel dafür. Er predigt den Leuten, sie könnten stolz sein auf ihren Staat. Sie hätten Gujarat gegen ein weltweites islamisch-christliches Komplott verteidigt, dessen Anführer Pakistans General Musharraf und Indiens Oppositionsführerin Sonia Gandhi sind. Viele Kandidaten für ein Mandat sind Rädelsführer der März-Unruhen, die unter Anklage stehen. Dies hielt junge BJP-Minister in Delhi nicht ab, sich demonstrativ Modi anzuschließen. Beobachter sehen Modi bereits als Herausforderer vor den Toren Delhis und inszenierte religiöse Unruhen als Rezept für weitere BJP-Siege.

So weit ist es noch nicht. Modis Gegner ist die Kongress-Partei und ihr Star ist Shankarsinh Vaghela, seines Zeichens ehemaliges RSS- und BJP-Mitglied. Selbst eingefleischte Säkularisten stellen sich hinter Vaghelas „Hindutva light“, eine gemäßigte Politik der Hinduisierung auf der Basis von einer Religion (Hindu), einer Sprache (Hindi) und einem Territorium (Hindustan). Es zählt nur, Modi einen Sieg zu verwehren. Vaghelas Strategie ist der ständige Hinweis auf die Milliardenausfälle an Investitionen, die der Staat aufgrund der Unruhen hatte. Die Wirkung ließ nicht auf sich warten. Der riesige Vorsprung Modis in den Umfragen ist zusammengeschmolzen. Wenn die vergleichsweise wohlhabenden Gujarati eines mehr fürchten als die Muslime, dann die Aussicht auf schlechte Geschäfte. BY