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Inder an die Macht

Der geheimnisvolle Bhangra-Mann: Panjabi MC steckt hinter dem ungewöhnlichsten Hit des Jahres. Den späten Erfolg des Songs „Mundian To Bach Ke“ verdankt er aufgeschlossenen DJs in Deutschland

von STEFAN MÜLLER

Der unwahrscheinlichste Hit des ausklingenden Jahres stammt von Panjabi MC aus Birmingham. Seit Wochen rotierte sein rhythmusorientierter Song „Mundian To Bach Ke“ – Markenzeichen: indischer Sprechgesang mit hypnotischem Getrommel – erst in deutschen Clubs, dann im Radio, um kürzlich aus dem Nichts auf Platz zwei in den deutschen Charts zu schießen: Nicht schlecht für ein Crossover aus Rap und einem indischen Stil, der in Insiderkreisen schon länger als „Bhangra“ bekannt ist. Die kleine Plattenfirma Superstar aus Darmstadt hatte den richtigen Riecher und landete einen Erfolg, mit dem keiner gerechnet hätte. Denn Panjabi MC ist schon seit fast zehn Jahren im Underground der indischen Einwanderer in England aktiv, und sein plötzlicher Hit bereits vier Jahre alt. Doch der Reihe nach.

Musik, die indisch klingt, muss nicht immer aus Indien kommen: In Großbritannien leben schließlich seit Jahrzehnten zahlreiche Einwanderer vom indischen Subkontinent, ihre größten Gemeinden finden sich in den Industriestädten Mittelenglands rund um Birmingham. Dort haben die Nachkommen der ersten und zweiten Einwanderergeneration seit mehr als 15 Jahren die traditionelle Ernte- und Hochzeitsmusik aus dem nordindischen Pandschab, genannt „Bhangra“, aufgegriffen, gepflegt und immer wieder mit Elementen der westlichen Rap- und Clubkultur verschmolzen. Und trieben die Klänge aus der Heimat ihrer Eltern zu gänzlich neuen Ufern.

Manches davon erreichte sogar die Chart-Häfen der Pop-Öffentlichkeit: So Anfang der Neunzigerjahre, als der MC und Produzent „Apache Indian“ seinen Bastard aus jamaikanischem Ragga und nordindischem Bhangra schlicht „Bhangra-Muffin“ taufte. Inzwischen hat sich die Bhangra-Szene in mehrere Stilrichtungen unterteilt, aber ein Merkmal ist fast immer anzutreffen: Die Bhangra-Hybride enthalten kleine Sample-Zitate aus westlichen Rap- oder Pophits. Das steigert den Wiedererkennungswert beim bislang fast ausschließlich indischen Bhangra-Publikum und sorgt für gute Laune auf der Tanzfläche, nicht nur bei indischen Hochzeiten.

Rajinder Singh Rai alias Panjabi MC aus Birmingham begann seine Karriere bereits Anfang der Neunziger als Rapper und MC, merkte aber bald, dass er lieber eigene Beats programmierte. Er widmete sich fortan mehr der Produktion von Rap-Instrumentals mit asiatischen Elementen und wechselnden Sängern. Vor fünf Jahren kam er auf die Idee, einen kleinen Loop aus der TV-Serie „Knight Rider“ (mit Hauptdarsteller David Hasselhoff) in ein neues Bhangra-Stück einzubauen – schon der Rap-Produzent Busta Rhymes hatte ein ähnliches Sample in seinem Track „Fire It Up“ benutzt. Text und Gesang steuerte der Inder Labh Janjua bei; und das Stück „Mundian To Bach Ke“ (Pandschabi für: „Nehmt euch in Acht vor den Jungs!“) erschien 1998 auf seinem Album „Legalized“. Seinen pulsierenden Rhythmus verdankt der Song freilich dem Hauptmerkmal des Bhangra, dem Beat der großen „Dhol“-Trommeln und dem jahrtausendalten einsaitigen „Tumbi“-Instrument aus dem Pandschab.

In den Kreisen der global vernetzten indischen Communities wurden Album und Song große Hits. Die großen britischen Plattenfirmen dagegen verschlossen – aus Ignoranz oder Unfähigkeit – lange Zeit beide Augen vor den heimlichen Superhits aus der Bhangra-Szene der Einwanderer. Nur der Bhangra-Produzent Bally Sagoo kam Mitte der Neunzigerjahre für kurze Zeit bei Sony unter Vertrag. Doch seine Songs verkauften sich vor allem über illegal kopierte Kassetten in den indischen Geschäften, in den CD-Läden dagegen fanden sie zu wenig Käufer: So ließ ihn der Plattenkonzern wieder fallen.

Panjabi MC dagegen werkelte seit jeher im Migranten-Underground. Sein Stück „Mundian To Bach Ke“ tauchte in den vergangenen Jahren zwar mehrmals auf CD-Compilations auf, etwa dem „Rough Guide to Bhangra“. Doch mit dem Aufkommen der Internet-Tauschbörsen landete natürlich auch dieser Titel auf hunderten von Festplatten. Und von dort direkt in die Hände einiger aufgeschlossener DJs.

Damit begann die zweite, späte und eigentliche Erfolgsgeschichte zum heutigen Charterfolg in Deutschland. Genauer gesagt im HipHop-Club einer norddeutschen Stadt. Dorthin wurde der Techno-DJ Frank Klein gebucht, im Nebenberuf für die kleine Darmstädter Plattenfirma „Superstar“ tätig. Klein versuchte es dort zunächst mit Techno, musste aber schnell feststellen: Die Tanzfläche war wie leergefegt. Da drückte ihm der ortsansässige DJ flugs eine CD in die Hand, und das Wunder geschah: „Die Tanzfläche füllte sich im Handumdrehen“, erinnert sich Klein, „und die Stimmung war sofort am Kochen.“ Das Wunder vollbracht hatte der hypnotische Song von Panjabi MC, gespeichert auf einer MP3-Datei und höchstwahrscheinlich vom DJ aus dem Netz gesaugt.

Frank Klein wusste, „Das wird ein Hit“ und setzte alle Hebel in Bewegung, um Panjabi MC nach zähen Verhandlungen für Deutschland unter Vertrag zu nehmen. Parallel dazu erschien auf dem amerikanischen HipHop-Label AV8 noch weit vor dem geplanten Veröffentlichungstermin in Deutschland eine illegale Weißpressung mit dem Song „Mundian To Bach Ke“, die den ganzen Sommer über für überraschte Gesichter und volle Tanzflächen in den HipHop-Clubs sorgte. Dazu kam, dass Indien ohnehin schon im Trend lag: Bollywood-Filme wie „Monsoon Wedding“ hatten in diesem Jahr die Kinos erobert, und im September erschien der indisch angehauchte R-&-B-Hit „Addictive“ von Truth Hurts und dem Rapper Rakim, deren Video bunte Sarigewänder und bauchtanzende Frauen zierten. Den kompletten Hintergrundgesang hatten die US-Produzenten Dr. Dre und DJ Quik bei der indischen Sängerin Lata Mangeshkar gesampelt, der „goldenen“ Stimme aus unzähligen Bollywood-Filmen. Derzeit läuft gegen Dr. Dre eine Schadensersatzklage über 500 Millionen Dollar wegen der unerlaubten Verwendung der Gesangsspur.

Dabei hatte Dr. Dre den Spieß eigentlich nur herumgedreht: Schließlich plündern indische Produzenten schon seit Jahren westliche Raphits, ohne vorab die Rechte zu klären. Weil bisher aber kein einziger Bhangra-Song aus den Kreisen der indischen Einwanderer-Communities zum weltweiten Hit geworden war, hat die Industrie bislang ein Auge zugedrückt. Doch nun hat sich die Situation geändert: Panjabi MC’s vier Jahre alter Hit „Mundian To Bach Ke“ wird, nach dem Erfolg in Deutschland, im Januar nun auch in seinem Stammland Großbritannien mit großem Promotion-Aufwand neu veröffentlicht werden. Und die Plattenfirma Superstar hat dafür vorsichtshalber schon mal die Rechte am „Knight Rider“-Sample klären lassen.

Dumm nur, wenn jetzt eine regelrechte Bhangra-Hitwelle losgetreten wird. Dann müssten noch dutzende weitere Bhangra-Hybride mit indischem Gesang und nicht geklärten Rap-Samples unter die Lupe genommen werden. Panjabi MC aber kann sich schon jetzt über seine unverhoffte Karriere in Deutschland freuen. Schnell wurde in Malaysia ein hektisches Inder-auf-der-Flucht-Musikvideo gedreht, das auf Viva rotiert. Und von „Top of the Pops“ bis zur Bravo reißen sich jetzt alle um den geheimnisvollen Bhangra-Modernisierer.

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