Eklat um erneuten Nazi-Vergleich

Hessens Ministerpräsident Roland Koch vergleicht Gewerkschaftskampagne gegen Reiche mit Judenverfolgung im Dritten Reich – und entschuldigt sich dafür

WIESBADEN taz ■ Der Eklat kam gestern in der allerletzten Sitzung des Hessischen Landtags vor den Wahlen im Februar. Ministerpräsident Roland Koch griff den Gewerkschaftsvorsitzenden Frank Bsirske (Ver.di) heftig an und verglich dessen Umgang mit den Reichen in der Bundesrepublik mit der Vernichtung der Juden im Dritten Reich. Reiche als „Schmarotzer“ zu bezeichnen und namentlich zu nennen sei eine Stigmatisierung „mit so ’ner neuen Form von Stern an der Brust“, rief er sichtlich aufgeregt. Das habe „eine schlimme Parallele zu anderen Zeiten“. Im Plenum protestierte die Opposition lauthals. Nach einem kurzen Tumult verließen SPD und Grüne den Saal.

Auf der Tagesordnung der aktuellen Stunde stand gestern Vormittag eine Debatte über die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) war richtig in Fahrt gekommen, als er genüsslich die Differenzen der SPD-Politiker in Sachen Vermögensteuer aufzählte und seinem SPD-Konkurrenten Gerhard Bökel vorwarf, die Finanzprobleme des Landes ließen sich durch Einführung dieser Abgabe nicht lösen. Außerdem treffe die Vermögensteuer „auch ganz normale Menschen“. Den Anlass zum Angriff auf Bsirske bot dessen Fernsehauftritt vom Vorabend. Der Gewerkschafter hatte Namen von Reichen genannt, die von der Vermögensteuer betroffen seien – und dabei unter anderem die Verlegerfamilie Holtzbrinck erwähnt.

Landtagspräsident Klaus Peter Müller unterbrach die turbulente Sitzung für kurze Zeit. SPD und Grüne nannten Kochs Äußerung „unglaublich“. Koch habe seine Äußerung „bewusst gesetzt“, um noch einmal in die Schlagzeilen zu kommen. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, bezeichnete Kochs Äußerung als „unerträgliche Beleidigung aller Opfer des Nazismus“. Spiegels Stellvertreter Michel Friedman (CDU) sprach von einer „Banalisierung und Relativierung“ der Judenverfolgung. Der neue Grünen-Chef Reinhard Bütikofer forderte Koch zum Rücktritt auf.

Auch kurz vor der Landtagswahl 1999 hatte Koch eine Kontroverse provoziert, als er so populistisch wie erfolgreich zu einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aufrief. Diesmal entschuldigte sich der Ministerpräsident nach nur einer Stunde vor dem neu versammelten Plenum. Er habe sich „vergaloppiert“. Wenn aber andere „Reiche im Lande stigmatisieren“ dürften, dann dürfe er dies seinerseits auch anprangern. HEIDE PLATEN