Vom Handgeld zum Handy

Der Berliner Geschenkeforscher Friedrich Rost über zeitlose SOS-Präsente, Schenken aus verdeckter Feindseligkeit und Schlankheitspillen für die Ehefrau. Außerdem verrät er, wie man am besten der weihnachtlichen Einkaufshatz entgeht

„Ich grinse von einer Backe zur andern, denn ich kann mir schon denken, was Sie von mir wollen“, meldet sich der Gelehrte am Telefon. Friedrich Rost (53) ist in diesen vorweihnachtlichen Tagen ein gefragter Mann – er ist Geschenkeforscher. Rost hat seine Doktorarbeit über „Theorien des Schenkens“ geschrieben. Der Kulturwissenschaftler lehrt und forscht seit 1981 am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin.

taz: Herr Rost, seit über zwanzig Jahren erforschen Sie das Schenken. Was ist das Besondere am Weihnachtsgeschenk?

Friedrich Rost: Weihnachten ist ein typisches Jahreswendfest, eigentlich ein Neujahrsfest – alle Jahre wieder eine Bekräftigung auf das neue Jahr. Wenn‘s einem im alten Jahr gut gegangen ist, kriegt man eine Weihnachtsgratifiktation – und die wird für Geschenke auf den Kopf gekloppt in der Hoffnung, dass es nächstes Jahr auch noch eine gibt.

Seit wann geht das schon so?

Weihnachten ist in Deutschland eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem richtigen Schenkfest geworden, weil erst dann in allen Schichten mehr zu verteilen da war. Die Wurzeln reichen aber lange zurück: In vielen ländlichen Regionen sahen die Gesindeordnungen schon im 19. Jahrhundert vor, dass Knechte und Mägde zu Martini, am 11.11., ein Handgeld zu bekommen hatten. Ähnliches galt für Dienstboten der Stadt. Das Handgeld wurde dann gleich auf den Weihnachtsmärkten abgeschöpft, wo es allerlei Tand zu kaufen gab.

Wieso beschenken sich Menschen überhaupt gegenseitig?

Das Schenken ist aus dem Geben entstanden, aus der menschlichen Erfahrung, dass man nur in Gemeinschaft überleben kann. Es ist eine kulturelle Erfahrung, dass man Mangelsituationen nur übersteht, wenn man auch selbst gibt. Wenn man bei anderen ein Guthaben hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die sich revanchieren. Die konkreten Motive des Schenkens können jedoch sehr vielfältig sein: Man kann aus Berechnung schenken, man kann jemanden belohnen wollen, man kann wirklich aus Liebe schenken – oder aus verdeckten feindseligen Motiven.

Schenken aus Feindseligkeit?

Ja, denn Geschenke können sprechen. So kann ein Geschenk sagen: Ändere Dich! Wenn man dem rechtschreibschwachen Sohn einen Duden schenkt, ist das wohl ein ziemlich deutliches Zeichen. Oder man bedenkt die Ehefrau mit Schlankheitspillen.

Welche Weihnachtsgeschenke sind denn dieses Jahr hip?

Alle Branchen versuchen über PR-Agenturen, ihr jeweiliges Angebot als besonders gefragt dazustellen. Aber klar ist: Der Handymarkt, der letztes Jahr ziemlich gesättigt war, läuft durch die neue Möglichkeit, MMS zu versenden, wieder besser.

Beobachten Sie einen längerfristigen Geschenke-Trend?

Es geht stark in Richtung Gutscheine und Geldgeschenke. Nach Weihnachten, wenn die Preise purzeln, wird stärker gekauft. Viele verhalten sich wirtschaftlich rational, fallen nicht auf die hohen Preise vor Weihnachten rein – und kaufen ihren PC eben erst im Januar.

Wie sieht’s mit dem Dauerbrenner Klamotten aus?

Eine alte Kategorie von Geschenken sind die SOS-Geschenke: Schlips, Oberhemd und Socken. Das ist auch durchaus sinnvoll, denn der Mensch muss sich ja kleiden. Es hat aber immer auch den Beigeschmack, bei dem Beschenkten handele es sich um einen Armen, der es nötig habe, bekleidet zu werden. Oder der keinen Geschmack habe. Auch bei Kosmetik-Geschenken kann eine Botschaft rüberkommen nach dem Motto: Du musst mal was für deine Körperpflege tun.

Von Theodor Adorno gibt’s das Diktum: „Die Menschen verlernen das Schenken.“ Pflichten Sie dem bei?

Viele sind heute in ihren Beziehungen oberflächlicher und haben dadurch mehr Masse als Klasse zusammen – eine Vielzahl von Mitmenschen soll beschenkt werden. Man vergisst dabei, dass das Schenken immer ein Zeichen dafür war, eine Beziehung auf Dauer zu stellen oder eine Bindung zu bekräftigen. Das erste Geschenk ist ein Initialgeschenk – aber muss man das beantworten, wenn man mit dem anderen nichts zu tun haben will?

Geben Sie uns doch zum Schluss einen Tipp: Wie vermeiden wir die Weihnachtsgeschenke-Einkaufshatz?

Sie müssen über den zu beschenkenden Menschen nachdenken – nicht erst kurz vor Weihnachten, sondern schon das ganze Jahr über. Wenn ich etwas sehe, das für einen Freund passt, zögere ich während des ganzen Jahres nicht, das sofort zu kaufen.

Interview: Markus Jox