„Es wird nicht einmal Toiletten geben“

Amelie Deuflhard von den Sophiensælen will den Palast der Republik nutzen, um sich endgültig von ihm zu verabschieden. Den Anfang soll eine Wagner- und Stockhausen-Inszenierung mit „unsichtbarem Orchester“ machen

taz: Frau Deuflhard, wie sieht das Zwischennutzungskonzept der Sophiensæle für den asbestsanierten Palast aus?

Amelie Deuflhard: Grob gesagt wollen wir einen Abgesang auf den Palast singen. Und zwar mit einer Reihe von Kunstprojekten. Den Auftakt soll Christian von Borries mit seiner Musikinstallation „European Chaos – der Wagnerkomplex“ machen.

Was kann man sich darunter vorstellen?

Borries will Stücke von Wagner und Stockhausen bearbeiten, neu remixen und mit Elektrosounds unterlegen. Alles gespielt von einem Symphonieorchester, das man nur teilweise oder gar nicht sehen wird. Wir planen, der Idee Wagners von einem „unsichtbaren Orchester“ nachzugehen. Die Musiker werden sich auf den verschiedenen Emporen des Volkskammersaals verteilen und somit nicht den Eindruck eines klassischen, im Graben sitzenden Orchesters erzeugen.

Welche Rolle spielt dabei der Raum?

Eine sehr wichtige. Am liebsten würden wir den Raum so bespielen, wie er jetzt ist, was aus sicherungstechnischen Gründen natürlich nicht geht. Wir wollen den baulichen Zwischenzustand so weit es geht beibehalten. Es wird keine festen Sitzplätze, kein Bühnenbild, nicht einmal Toiletten geben.

Wie wichtig sind Ihnen die geschichtlichen Bezüge dabei?

Der Ort war das Symbol des preußischen Zentralismus und des DDR-Regimes und stets in einem Kontext von Macht, Politik und Kunst angesiedelt. Wagner wurde in diesem Feld häufig instrumentalisiert. Außerdem werden die Zuschauer während der Aufführungen eine offene Sicht auf den Alex und die Museumsinsel haben und notgedrungen ihr Kunsterlebnis mit einem Ausblick auf die deutsche Geschichte koppeln müssen. Die unmittelbare Historie wird durch Baugeräusche, die während der Sanierung aufgenommen wurden und jetzt in das Musikprojekt eingebaut werden, wachgerufen.

Also Geschichte und Kunst als offenes System?

Genau. Wir wollen keinen hermetischen Raum und kein starres Kunstkonzept. Die Zuschauer werden sich im Raum frei bewegen können. Je nachdem, wo sie stehen, wird natürlich auch das, was sie hören, anders klingen. In einem skelettierten Innenraum, der nur aus Stahl und Beton besteht, wird die Vielfalt der Rezeptionsmöglichkeiten sehr stark bewusst gemacht.

Berlins Baustellen lichten sich, die Stadt beginnt sich in ihren Strukturen zu verfestigen. Versucht man mit Ihrem Konzept nicht, sich an den Mythos des unfertigen Berlin vom Anfang der 90er-Jahre zu klammern?

Vielleicht. Es gibt in Berlin eben nicht mehr viele leer stehende Gebäude von Bedeutung, die künstlerisch umcodiert werden könnten. Der Palast der Republik stellt da eine der letzten großen Ausnahmen dar.

Die Sophiensæle befinden sich in den Hackeschen Höfen, einer Gegend mit einer aktiven Kulturszene, der Palast hingegen liegt an einer Repräsentationsmeile, auf der eher gediegeneres Publikum verkehrt. Glauben Sie, dass Ihr Stammpublikum sich mit dem Palast anfreunden wird, oder versprechen sie sich eine neue Zielgruppe?

Es herrscht ein riesiges öffentliches Interesse für diesen Ort. Über alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen hinweg. Sicherlich ist dadurch hier die Chance gegeben, zeitgenössische Kunst auch Menschen näher zu bringen, die sich vielleicht sonst nicht damit beschäftigen.

Die Zwischennutzung wurde nur unter der Bedingung akzeptiert, dass weder Bund noch Land die Kosten übernehmen.

Die Nichtbeteiligung von Bund und Land bezieht sich nur auf bauliche Investitionen, nicht auf Projektmittel.

Und das Geld werden Sie bekommen?

Zumindest für Christian von Borries’ Projekt. Das wird durch den Hauptstadtkulturfonds finanziert. Aber auch die baulichen Investitionen fallen, gerade bei so unaufwändigen Projekten, wie wir sie planen, deutlich geringer aus als die veranschlagten 1,3 Millionen Euro. INTERVIEW:
AYGÜL CIZMECIOGLU