Apfel, Nuss und Mandelkern

Die Weihnachtszeit ist kulinarisch eine schwerwiegende. Doch mit gutem Gebäck gibt es mehr als nur ein gutes Gewissen: Ökologische Backwaren sind ein kulinarischer Luxus, der im Zuge der Industrialisierung weitgehend in Vergessenheit geriet

von VERENA MÖRATH

So sieht die gesunde Ernährungspyramide aus: reichlich Getreideprodukte verzehren sowie Obst und Gemüse. Maßvoll umgehen mit Milchprodukten und Hülsenfrüchten sowie mit Eiern und Nüssen. Ganz sparsam genießen sollten wir Zucker, Honig, Butter und Sahne, Margarine und Öl, Alkohol, Tee und Kaffee. Das weiß doch jeder. Dann steht Weihnachten vor der Tür und Folgendes auf einem anständig gedeckten Tisch zum gemütlichen Adventskaffee: frisch aufgebrühter Kaffee, dazu Butterstollen, in Zucker gewälzt, daneben ein großer Teller gefüllt mit Spekulatius und Vanillekipferln, mit Marzipankartoffeln und Lebkuchen, ein paar Dominosteinen und erlesenen Pralinés. Fehlt noch etwas?

Süßes zu Weihnachten muss sein, „aber lieber vom Ökobäcker“, mögen manche ihr schlechtes Gewissen beruhigen. Das ist gesünder und kann keine Sünde sein. „Essen ist nie eine Sünde, ob öko oder nicht“, meint Eva Barlösius, Ernährungssoziologin am Wissenschaftszentrum Berlin, Arbeitsgruppe Public Health. Interessanter findet sie die Tatsache, dass das Naschen zu Weihnachten einst ein richtiger Luxus war. „Zum Fest benutzte man nur die feinsten und wertvollsten Zutaten“, berichtet Eva Barlösius. Zum Beispiel wurde Zucker erst Anfang des 18. Jahrhundert mit der Zuckerrübenproduktion für die breite Bevölkerung erschwinglich. Pfeffer, Nelken, Muskat, Koriander, Kardamom, Anis, Zimt und Ingwer – Gewürze, die nahezu in jedem Weihnachtsgebäck enthalten sind – waren teuer.

Heute ist das anders: Zucker wird das ganze Jahr über im Übermaß verbraucht, und Lebkuchengewürze haben längst keinen Seltenheitswert mehr. Ob Spekulatius, Stollen oder Marzipan – alle können sich weihnachtlichen Geschmack leisten. Aber es besteht schon ein Unterschied, ob man eine Tüte industriell produzierter Lebkuchenherzen ersteht oder sich den Luxus gönnt, Ökogebäck zu kaufen. Es ist mit Vollkornmehl gebacken und wird grundsätzlich nur mit Zutaten aus dem biologisch-dynamischen Anbau hergestellt. Das ist nun mal gesünder. Obwohl Monika Weichardt „durch und durch öko“ ist, will sie aber nicht mit der Gesundheit für Ökosüßes zu Weihnachten werben. „Leckere Sachen gehören einfach zu den Festtagen,“ findet sie. Mit ihrem Mann Heinz Weichardt hat sie vor 25 Jahren die erste Biobäckerei Berlins eröffnet. Die Weichardt’sche Bäckerei in Wilmersdorf ist die einzige Berlins, die ihr Getreide selbst mahlt mit drei Natursteinmühlen, deren große Mahlsteine aus den Sextener Dolomiten stammen und im 12. Jahrhundert von Hildegard von Bingen extra ausgesucht und in Carrara geschnitten wurden. Bei Weichardts gibt es alles, was gut und teuer ist, ausschließlich in Handarbeit produziert – ob Schokolade, Baumkuchen oder Spekulatius. Stolz ist man vor allem auf den echten Pfefferkuchen: Sein Teig reift von Frühjahr an, bis er weiterverarbeitet wird. Damit kein Ungeziefer sich dran satt isst, wird er handbreit mit Pfefferkörnern bedeckt.

Auch in Kreuzberg setzt man auf Tradition: Beim Ökobäcker Beumer & Lutum lagert der Honigkuchenteig neun Monate lang im dunklen Keller, hergestellt aus Vollkornmehl – eine Dinkel-, Weizen- und Roggenmischung – und Honig. Und natürlich mit einer speziellen Gewürzmischung versehen, die ein Backgeheimnis bleibt. Hier sind die Konditoren schon seit Ende August damit beschäftigt, Lebkuchen zu backen: Es gibt 20 verschiedene Sorten, „der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt“, so Mitarbeiterin Sella Mevert. Mit Fruchtmus, als Schaukelpferd, bunt, schokoladig oder in natura. Nicht als „Gesundpyramide“, aber als Hexenhäuschen gibt es Lebkuchen auch.