Die neue Welt oder Amerika

Zum Nachlesen für Weltenbummler und gegen das Vergessen: Der Sprachforscher Storfer erforschte in den Dreißigerjahren, wie die fünf Kontinente zu ihrem Namen kamen. Seine Beiträge strotzen vor unbekanntem enzyklopädischem Wissen

Vespucci selbst hatte sich nämlich keineswegs als Taufpate aufgedrängt

von ADOLF JOSEF STORFER

Es ist allgemein bekannt, dass Kolumbus einen Seeweg nach dem asiatischen Indien suchte und dass man, als die ersten Inseln in Mittelamerika entdeckt wurden, von „Westindien“ sprach. Kolumbus hielt so eigensinnig an dem Gedanken fest, dass er auf der zweiten Fahrt die Mannschaften seiner Schiffe veranlasste, eidlich und schriftlich zu erklären, das entdeckte Land gehöre zu Asien, damit er dieses feierlich beglaubigte Dokument den Zweiflern entgegenhalten könne. Als Strafe sollte jedem Mitglied der Besatzung, das jemals das Beschworene in Abrede stellte, die lügnerische Zunge aufgeschlitzt werden.

Der neue Erdteil musste sozusagen zweimal entdeckt werden. Zunächst einmal entdeckte ihn Kolumbus, als er am 12. Oktober 1492 seinen Fuß auf die Insel Guanahani setzte. Aber es musste darüber hinaus auch noch der Umstand entdeckt werden, dass ein neuer Erdteil entdeckt worden war. Dieses Verdienst wird schließlich dem Florentiner Amerigo Vespucci zugeschrieben.

lm Jahre 1499 nahm Vespucci an einer Expedition des Alonzo de Hojeda teil und gelangte mit ihm nach Guyana, Venezuela, Nordbrasilien. In einem ausführlichen Briefe, den Vespucci im Jahre 1503 an seinen Freund und früheren Chef Lorenzo di Medici schrieb, stehen gewichtige Worte über die neu entdeckten Gebiete: „… es ist angemessen, sie eine neue Welt zu nennen.“

Das Verdienst des Vespucci besteht darin, durch die erstmalige Verknüpfung des Begriffes „neu“ mit dem Begriffe „Welt“ in seiner durch Übersetzen und Nachdruck stark verbreiteten Schrift die Grundlage für den stehenden Ausdruck „Neue Welt“ geschaffen zu haben. Ähnliche Bezeichnungen tauchten allerdings schon sofort nach Bekanntwerden der ersten Entdeckungen des Kolumbus auf. Zum Beispiel schon 1494 in Sebastian Brants „Narrenschiff“ oder in Bezeichnungen wie Newes Land, Nüwe Insulen, Neu gefundene Inseln. Die Wirkung des Vespucci ist im Grunde genommen die eines smarten Journalisten, der sich nicht scheut, den Mund möglichst voll zu nehmen und von einer neuen „Welt“ zu sprechen, und bei der Prägung eines solchen Schlagwortes auch das Glück einer großen Publizität hat.

1507 erschien unter dem Namen von Waldseemüller-Hylacomylus eine Einführung in die Kosmographie des Ptolemäus. Zu dieser Schrift wurde auch zusaätzlich eine Weltkarte herausgegeben, und diese war die erste gedruckte Karte, auf der die überseeischen Entdeckungen der Spanier und Portugiesen eingezeichnet waren. Auf dieser Karte erschien auch zum ersten Male die Bezeichnung „Terra America“ für die neu entdeckten Gebiete. Zweifellos war eine Ehrung des Amerigo Vespucci damit auch beabsichtigt.

Der große Anteil der Weltkarte von Waldseemüller an der Verbreitung des Namens Amerika blieb lange unbeachtet, und so konnte die (von Hertslet zu den „Treppenwitzen der Weltgeschichte“ gezählte) Auffassung Platz greifen, Vespucci hätte dem von anderen entdeckten Kontinent absichtlich durch schlaue Ränke den Namen „Amerika“ verschafft. „Seltsam“, schreibt Ralph W. Emerson 1856, „dass das große Amerika den Namen eines Diebes tragen muss. Amerigo Vespucci, der Heringhändler von Sevilla, dessen höchster seemännischer Rang der eines Bootsmannmaates war, hat es in dieser lügnerischen Welt fertig gebracht, den Kolumbus zu verdrängen und die halbe Welt mit seinem unehrlichen Namen zu taufen.“

Das ist gewiss eine Übertreibung. Vespucci selbst hatte sich nämlich keineswegs als Taufpate aufgedrängt und scheint sogar bis zu seinem 1512 erfolgten Tode in keiner Weise die damals schon in Verbreitung befindliche Benennung des neuen Erdteils von sich aus in irgendeiner Weise gefördert zu haben.

Es gibt noch andere Etymologien des Wortes „Amerika“, die in ihm eingeborenen amerikanischen Sprachstoff, also indianische Sprachwurzeln vermuten. Drei solcher Deutungen nennen wir:

a) Karl Lokotsch gibt eine aus dem Toltekischen an; die Bedeutung von Amerika wäre demnach: großes Gebirge (zu merik = Berg, ike = groß).

b) 1888 gab der Amerikaner Thomas de St. Bris folgende Deutung: Die Augsburger Handelsherren Welser, die von Karl V. Venezuela bekamen, fanden dort einen Ortsnamen „Ameraca“ und nannten diesen im Bericht an den Kaiser, der dann seinen Kartografen Mercator beauftragte, den Namen „Amerika“ über den ganzen Erdteil zu schreiben.

c) 1875 stellte der französische Amerikanist Jules Marcou folgende Behauptungen auf. Als „Americ“ oder „Amerrique“ wurde eine Bergkette östlich vom Nicaraguasee bezeichnet; ein Gold führendes Gebirge in Nicaragua heißt heute noch Sierra de Amerique oder de Amerriques; ebenso nennen sich die dort lebenden Indianer Ameriques oder Ammerisques. Das Land wurde von Kolumbus auf seiner letzten Fahrt entdeckt. Er ließ sich von der Moskitoküste zu den Ammerisques führen, welche besonders dadurch auffielen, dass sie ganz nackt gingen, um den Hals aber goldene Spiegel trugen. Da dieses Land großen Eindruck machte auf die Begleiter des Kolumbus, verbreitete sich sein Name „Amerique“, der in der Sprache der dortigen Indianer die Bedeutung „Goldland“ hatte, bald unter den Seeleuten über alle Häfen Westindiens und auch Europas.

Teil 2 unserer Serie „Der Name der fünf Kontinente“ ist ein gekürzter Nachdruck aus Adolf Josef Storfers Buch „Im Dickicht der Sprache“. Verlag Vorwerk 8, Berlin 2000 (Erstausgabe 1937)