Wer Ja sagt, darf nach Hause

Bis zuletzt wurde auf dem Gipfel um weitere EU-Zahlungen gerungen. Die Union kam den Kandidaten vor allem im Bereich der Landwirtschaft entgegen

Polen hatte das Interesse, die Verhandlungen am 20. Jahrestag des Kriegsrechts abzuschließen

aus Kopenhagen DANIELA WEINGÄRTNER

Journalistenkollegen, die schon sehr lange dabei sind, erinnern sich an eine Kopenhagen-Anekdote der besonderen Art. Gleich im Beitrittsjahr 1973 musste Dänemark die Präsidentschaft übernehmen. Es war das Jahr der Ölkrise, und die arabischen Scheichs waren ungebeten angereist. Die europäischen Staatschefs, so wird erzählt, weigerten sich, mit den arabischen Führern zu reden. So lud der damalige dänische Außenminister sie in ein schlecht beheiztes Zimmer seines Amtssitzes ein, begrüßte sie kurz und überließ sie der Kälte und einem seiner Beamten. Er soll sich damit entschuldigt haben, dass die Europäer Heizkosten sparen müssten …

Ähnlich gnadenlos führt auch Fogh Anders Rasmussen in Kopenhagen Regie. Am frühen Nachmittag tauchte auf den Bildschirmen im Pressezentrum folgende Ankündigung auf: „Offizielles Programm: Alle Kandidaten, die bereit sind, auf diesem Gipfel die Verhandlungen abzuschließen, treffen sich um 17.00 Uhr mit den fünfzehn Regierungschefs. Um 18.45 Uhr beginnt der Empfang mit Königin Margarethe II.“ Er ließ diesen Termin verstreichen, bevor auf den Bildschirmen in roter Schrift „delayed“ – verspätet – erschien.

Auch die Polen, so wurde tröstend in Gängen und Fluren geraunt, hätten ein starkes Interesse daran, die Verhandlungen im Lauf des Freitags abzuschließen. An einem 13. Dezember hatte General Jaruzelski das Kriegsrecht über Polen verhängt. Deshalb sei es von hohem symbolischem Wert, an einem 13. Dezember die Vereinigung mit Europa zu vollenden. Doch Polen pokerte bis zuletzt.

Zuerst ließ sich am Nachmittag Slowenien zum Einlenken bewegen. Für die Zusicherung, dass 48 Millionen Euro für die Jahre 2004 bis 2006 zusätzlich fließen sollten, schloss es die Verhandlungen ab. Im Lauf des Abends folgten die meisten anderen seinem Beispiel. Zypern, die Slowakei und Estland hatten schon vor Beginn des Gipfels dem Verhandlungsdruck der Dänen nachgegeben. Am späteren Abend lehnten nur noch Tschechien, Polen und Ungarn das dänische Kompromissangebot ab, Geld aus den Strukturfonds umzuwidmen, damit es in den Jahren 2004 bis 2006, für die die Länder Budgetprobleme befürchten, dem Haushalt direkt zur Verfügung gestellt werden kann.

Für Polen sieht das Kompromissangebot vor, die für Sturkturmaßnahmen eingeplanten Mittel von 8,635 Milliarden Euro um 1 Milliarde zu kürzen. Dieses Geld soll in den Jahren 2005 und 2006 direkt dem Haushalt zur Verfügung stehen, damit Polen nicht schlechter gestellt wird als vor dem Beitritt. Für 2004 hat sich die Situation dadurch entspannt, dass die Mittel der Europäischen Union für das ganze Jahr gezahlt werden, Beiträge in die EU-Kasse aber erst vom Beitrittstag an für die Monate Mai bis Dezember fällig werden.

Auch bei den Direktzahlungen für die Bauern kam die EU den Bewerbern weiter entgegen. Die Frist, in der die Neuen das gleiche Niveau erreichen wie die Bauern in der alten EU, soll verkürzt werden. Der Einstiegssatz von 25 Prozent des Niveaus, das in der alten EU gezahlt wird, soll von den Kandidaten aus Mitteln für ländliche Entwicklung und aus eigenen Haushaltsmitteln aufgestockt werden können. Bis zu welchem Prozentsatz, stand bis zum Abend aber nicht fest.

Der polnische Chefunterhändler sagte, er wolle so viel zuzahlen können, dass polnische Bauern mit ihren Kollegen in der alten EU gleichgestellt sind. „Wir wollen selbst entscheiden, was wir mit unserem eigenen Geld machen.“ Agrarexperten befürchten, dass dadurch der nötige Strukturwandel in der polnischen Landwirtschaft gebremst wird. Ökologen warnen davor, dass Mechanismen, die sich schon in der alten EU als schädlich erwiesen haben, nun auf die neuen Mitglieder übertragen werden.

Freitagmorgen bereits bekamen die Journalisten druckfrische Kopien eines Entwurfs der Abschlusserklärung. Darin war das definitiv letzte finanzielle Angebot von 40 Milliarden Euro für die Jahre 2004 bis 2006 an die Beitrittskandidaten ebenso enthalten wie zwei Alternativen für das gespaltene Zypern: Für den Fall einer Einigung sollten in beiden Teilen der Insel am 30. März 2003 Referenden stattfinden. Der türkische Nordteil solle dann sofort 273 Millionen Euro erhalten, um seinen Entwicklungsrückschritt in Kürze aufholen zu können.

Da diese Einigung in Kopenhagen nicht zustande kam, soll bis 28. Februar 2003 eine Einigung auf Grundlage des UNO-Vorschlags angestrebt werden. „Der Europäische Rat glaubt, dass es eine einzigartige Chance gibt, in den kommenden Wochen eine Einigung zu erreichen, und drängt die Führer beider Seiten, diese Gelegenheit zu ergreifen.“

Im Gezänk um ein Verhandlungsdatum für die Türkei und im kleinlichen Geschacher um mehr EU-Geld für die Neuen in den Jahren 2004 bis 2006 trat der Gedanke daran, dass in Kopenhagen EU-Geschichte geschrieben wurde, über weite Strecken in den Hintergrund. Eine britische Gipfelveteranin meinte deshalb seufzend: „Das ist oft so mit historischen Augenblicken: Wenn man mittendrin steckt, wird einem oft nicht klar, dass man gerade einen erlebt …“